Harun Farocki
Harun Farocki wurde 1944 als Harun El Usman Faroqhi in Nový Jicin (Neutitschein), der heutigen Tschechischen Republik, geboren und studierte an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin (DFFB), von der er 1968 aus politischen Gründen relegiert wurde. Von 1974 bis 1984 war er Redakteur der deutschen Zeitschrift "Filmkritik". Er gehört zu den wichtigsten Essayfilmern und ist Autor etlicher Fernsehproduktionen sowie theoretischer Texte. 1993 bis 1999 übte er als Dozent eine Lehrtätigkeit an der University of California aus. Ab 2000 unterrichtete er an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (DFFB) Berlin. Ab 2004 hatte er eine Gastprofessor an der Universität der Bildenden Künste in Wien inne, wo er von 2006 bis 2011 als ordentlicher Professor wirkte. Sein Werk wurde 2007 an der Documenta 12 in Kassel und in zahlreichen internationalen Retrospektiven gezeigt und vielfach ausgezeichnet.
1995 erhielt er den Adolf-Grimme-Preis für „Die Umschulung“ und 2002 den Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum. 2006 wurde er mit dem Herbert-Quandt-Medien-Preis für den Dokumentarfilm „Nicht ohne Risiko“ ausgezeichnet und 2009 mit dem ARTE-Dokumentarfilmpreis für den Film „Zum Vergleich“. Im gleichen Jahr bekam er den Wilhelm-Loth-Preis 2009. 2012 wurde ihm der Sonderpreis zum Roswitha Haftmann-Preis zuerkannt. 2015 erfolgte eine „Special mention“ im Rahmen der Biennale di Venezia. Harun Farocki verstarb im Jahr 2014 bei Berlin. 2015 wurde das Harun Farocki Institut (HaFI) als „Plattform zur Erforschung von Farockis visueller und diskursiver Praxis und als flexible Struktur für neue Projekte“ in Berlin gegründet.
Farockis frühe Filme sind von den kulturrevolutionären Vorstellungen der sich radikalisierenden politischen Linken geprägt und wurden explizit als wirksames Mittel politischer Agitation entwickelt. So greift "Nicht löschbares Feuer" (1968/69) mit dem Vietnamkrieg ein essentielles Thema der StudentInnenbewegung auf.
Während die politisch-agitatorischen Lehrfilme analytisch-aufklärerisch arbeiten, fordern die folgenden Autoren-, Essay- und Dokumentarfilme aktive Rezeption heraus. So deuten die Dokumentarfilme das Geschehen bewusst nicht, sondern machen lediglich Alltag in seiner verborgenen kapitalistischen Logik sichtbar. Parallel dazu entstehen Essayfilme, die Film als Bildmedium hinterfragen. Durch Montage und gezielte Komposition von selbst gedrehtem und vorgefundenem Material erzeugt Farocki einen Subtext, der die technischen, gesellschaftspolitischen und kulturellen Bedeutungszusammenhänge von Bildproduktion, -distribution sowie -rezeption offen legt. In seinen gänzlich aus Found-footage-Material montierten Arbeiten wie "Videogramme einer Revolution" (1992) stellt Farocki eine neue narrative Ordnung her. Hier thematisiert er die Wechselwirkungen historischer Prozesse und ihrer medialen Repräsentation.
Seit Ende der 1990er Jahre realisiert Farocki zunehmend Videoarbeiten im Ausstellungskontext, u. a. auf der Documenta X, 1997. Seine letzten Installationen beschäftigen sich mit der Instrumentalisierung der Kamera als Überwachungs- und Kontrollapparat: "Ich glaubte Gefangene zu sehen" (2000 produziert von der Generali Foundation) visualisiert durch Videomaterial einer Überwachungskamera die Ablösung der Disziplinargesellschaft durch die Kontrollgesellschaft. "Auge/Maschine I" (2002) macht die Indienstnahme des Bildes für technisch-kontrollierende Zwecke im militärischen wie auch zivilen Bereich sichtbar. (Luisa Ziaja)