Post-Partum Document I. Prototype

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© Sammlung Generali Foundation - Dauerleihgabe am Museum der Moderne Salzburg, Repro: Werner Kaligofsky

Mary Kelly

Post-Partum Document I. Prototype, 1974

Diagramm II, Experimentum Mentis | Weaning from the breast

Druckgrafik, Schwarz-weiß-Fotokopie Gerahmt in Acrylglasbox 36,3 x 28,7 x 3,5 cm

GF0001975.09.0-1998

Werktext

Diagramm II PPD 1976 Ref. 1-28F Experimentum Mentis I Entwöhnung von der Brust Vor der Geburt (der Phase der Schwangerschaft im Bauch der Mutter) und während der Stillzeit in den ersten Lebensmonaten des Kindes wird der negative Ort, den die Mutter in der patriarchalischen Ordnung – oder genauer: im Symbolischen – einnimmt, leicht ”verkannt”, da das Kind in gewisser Hinsicht für die Mutter der Phallus ist. Bis zur Geburt ist das Kind ein Teil des Körpers der Mutter, später kommt es als ein Objekt hinzu, das einmal Teil ihrer selbst war. Der weibliche Narzissmus wird hier dadurch verstärkt, dass sie ein Objekt vollständig lieben kann, ohne auf eine narzisstische Objektwahl verzichten zu müssen. Dass die Mutter in dieser Phase ihren negativen Ort ”verkennt”, beruht nicht unbedingt auf einer Anbindung an das Imaginäre – dies würde auf eine Psychose hindeuten –, sondern auf einer Konfrontation zwischen dem Realen und dem Imaginären, die selbst im Symbolischen begründet liegt und letztendlich nur dadurch aufgelöst werden kann, dass der Vorrang der symbolischen Struktur bestätigt wird. Die Charakteristik dieser Konfrontation kurz nach der Geburt des Kindes hängt für die einzelnen Mütter von der Art und Weise ab, wie sich zu diesem Zeitpunkt die ursprünglichen ödipalen Konflikte wiederholen. Dies ist auch das Terrain der Psychotherapie. Aber im Allgemeinen liegt das Problem, das die symbolische Ordnung den Frauen bereitet, genau in der Schwierigkeit, die ödipale Kastration zu verarbeiten, wo doch der vorrangige Signifikant dieser Ordnung der Phallus ist. Die Entwöhnung von der Brust stellt daher nicht nur für das Kind, sondern auch für die Mutter die bedeutende Entdeckung einer Abwesenheit dar. Insofern als diese Entwöhnung eine tatsächliche Trennung bedeutet und spiegelbildlich einsehbar ist, löst sie zwar keine ”Anerkennung” der Kastration aus, aber sie bricht die Symbiose der biologisch bestimmten Mutter-Kind-Einheit auf. Die Entwöhnung von der Brust läuft – wörtlich genommen – nicht nur auf die Beendigung des Stillens hinaus (wobei der Zeitpunkt variiert), sondern auch auf das unvermeidliche Ende der ausschließlich flüssigen Ernährung und die Einführung von fester Nahrung. Dieser Übergang findet im Durchschnitt bis zum sechsten Lebensmonat des Kindes statt. Seine psychische Parallele liegt darin, dass das Kind im Alter von 6 bis 8 Monaten in eine Phase der Identifikation eintritt: Er/sie erfährt eine Veränderung, wenn er/sie mit seinem/ihrem Bild konfrontiert wird (wie das beispielsweise durch das Spiegelbild der Fall ist). Diese identifikatorische Bewegung in Richtung eines Ideals vermittelt die anaklitische und primäre Beziehung des Kindes zur Mutter (oder zu einem Teil ihres Körpers) und schreibt in der Folge gewissermaßen einen Mangel in sie ein, da diese Bewegung ihre eigene imaginäre Identifikation mit dem Kind als mit jemandem, der/die einst Teil ihrer selbst war, bedroht. Zu diesem Zeitpunkt erfährt das Kind auch die Trennung von Objektliebe und Identifikationsliebe, sodass seine/ihre objektbezogene Hinwendung zur Mutter – er/sie begehrt das zu sein, was sie von ihm/ihr gerne möchte – nunmehr das Begehren der Mutter ergänzt, dass das Kind ihr Phallus sein soll. In der ersten Phase nach der Geburt möchte die Mutter vom Kind in erster Linie, dass es ”gesund” ist. Die normale Konsistenz der Fäkalien ist nicht nur ein Indikator für die Gesundheit des Kindes, sondern wird im Patriarchat auch als Beweis dafür gesehen, dass die Frau auf ganz natürliche Weise zu Mutterschaft und Sorge für das Kind fähig ist. Aber der drohende Mangel an Vollkommenheit drückt sich bereits in ihren Worten ”Was habe ich bloß falsch gemacht?” aus. Das Kind wird zum Symptom der Mutter, da sie über es beurteilt wird. Aber das Symptom des Kindes, wie es beispielsweise in der Nichtübereinstimmung zwischen den Ernährungsdaten und den Spuren von Durchfall in Dokumentation I, F3. aufscheint, unterminiert den ideologischen Begriff der ”natürlichen Fähigkeit” und stellt die Angemessenheit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in Frage, durch welche der sekundäre gesellschaftliche Status der Frau bekräftigt wird. (Mary Kelly)

Leihgeschichte
2005 Zagreb, CRO, Galerija Klovicevi Dvori 2005 München, DE, Haus der Kunst 2005 Rotterdam, NL, Nederlands fotomuseum