Hans Hollein
Hans Hollein wurde 1934 in Wien, Österreich, geboren. Er studierte von 1953 bis 1956 Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Clemens Holzmeister, von 1958 bis 1959 am Illinois Institute of Technology in Chicago und von 1959 bis 1960 am College of Environmental Design an der University of California in Berkeley, USA. Neben seiner Arbeit als Architekt und Architekturtheoretiker war Hollein als Bildhauer, Objektkünstler, Designer und Kurator und von Ausstellungen tätig. Gastprofessuren führten ihn unter anderem an die Universitiy of California, Los Angeles (UCLA) und die Ohio State University, Columbus. Von 1967 bis 1972 war er Professor an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf und von 1976 bis 2002 an der Universität (damals Hochschule) für angewandte Kunst, Wien. Hans Hollein erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1983 den Großen Österreichischen Staatspreis und 1985 den Pritzker-Architekturpreis. Im Jahr 2009 wurde er mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet. Er lebte und arbeitete in Wien, wo er im Jahr 2014 verstarb.
Hollein zählt zu den Pionieren der zeitgenössischen Architektur, die für ihn „rituell und Mittel zur Erhaltung der Körperwärme ist“. Dieser erweiterte Architekturbegriff manifestiert sich auch in Installationen, Zeichnungen sowie im Design. In der legendären Serie von Fotomontagen "Transformationen" (1963-68) integrierte er Objekte, vom Flugzeugträger bis zum Kühler, als Architekturen im Stadtbild und in Landschaften. Die "Minimalumwelt" (1965), ein Konzept für die Biennale de Paris, ermöglicht Leben auf kleinstem Raum, jedoch in globaler Kommunikation. Architektur als Herstellung von emotionalen und physischen Eindrücken entwickelte er in der "Architekturpille", einem Element des "Non-physical Environmental Control Kit" (1967), oder dem "Svobodair " (1968), ein Spray zur Umweltveränderung. In der Fernsehsendung „Das österreichische Portrait“ präsentierte Hollein sein "Mobiles Büro" (1969), einen pneumatischen Raum, der als Studio zum Transport im Koffer konzipiert ist. Seine bekanntesten Bauten sind das "Retti" Kerzengeschäft (Wien, 1965), das "Städtische Museum Abteiberg" (Mönchengladbach, 1972-82), das Frankfurter "Museum für Moderne Kunst" (1983-91), das "Haas-Haus" (Wien, 1985-90), das "Vulcania Museum" (Frankreich, 1994-97) und der "Generali/Media Tower" (Wien,1994-2001). Mit "Métaphores et Métamorphoses" widmete ihm das Centre Georges Pompidou, Paris, 1987 eine Ausstellung, die auch am Museum des 20. Jahrhunderts, Wien, und der Nationalgalerie Berlin präsentiert wurde. 1995 gab Hollein am historischen Museum der Stadt Wien einen Einblick in sein Werk. (Monika Vykoukal)
Alles ist Architektur
Begrenzte Begriffsbestimmungen und traditionelle Definition der Architektur und ihrer Mittel haben heute weitgehend an Gültigkeit verloren.
Der Umwelt als Gesamtheit gilt unsere Anstrengung und allen Medien, die sie bestimmen. Dem Fernsehen wie dem künstlichen Klima, den Transportationen wie der Kleidung, dem Telefon wie der Behausung.
Die Erweiterung des menschlichen Bereiches und der Mittel der Bestimmung der Um-”Welt” geht weit über eine bauliche Feststellung hinaus. Heute wird gewissermaßen alles Architektur. ”Architektur” ist eines dieser Medien.
Unter den verschiedensten Medien, welche heute unser Verhalten und unsere Umgebung definieren – auch als Lösung bestimmter Probleme – ist ”Architektur” eine Möglichkeit.
Der Mensch schafft künstlich Zustände. Dies ist die Architektur. Physisch und psychisch wiederholt, transformiert, erweitert er seinen physischen und psychischen Bereich, bestimmt er ”Umwelt” im weitesten Sinne.
Seinen Bedürfnissen und seinen Wünschen gemäß setzt er Mittel ein, diese Bedürfnisse zu befriedigen und diese Wünsche und Träume zu erfüllen. Er erweitert sich selbst und seinen Körper. Er teilt sich mit.
Architektur ist ein Medium der Kommunikation.
Der Mensch ist beides – selbstzentriertes Individuum und Teil der Gemeinschaft. Dies bestimmt sein Verhalten.
Von einem primitiven Wesen hat er sich selbst mittels Medien kontinuierlich erweitert, seinerseits diese Medien kontinuierlich erweiternd.
Der Mensch hat ein Gehirn. Seine Sinne sind die Grundlage zur Wahrnehmung der Umwelt. Medien der Definition, der Festlegung einer (jeweils gewünschten) Umwelt beruhen auf der Verlängerung dieser Sinne.
Das sind die Medien der Architektur.
Architektur im weitesten Sinne.
Enger gefasst könnte man für den Begriff Architektur etwa folgende Rollen und Definitionen formulieren:
Architektur ist kultisch, sie ist Mal, Symbol, Zeichen, Expression.
Architektur ist die Kontrolle der Körperwärme – schützende Behausung.
Architektur ist Bestimmung – Festlegung – des Raumes, Umwelt.
Architektur ist Konditionierung eines psychologischen Zustandes.
Jahrtausende hindurch erfolgte künstliche Veränderung und Bestimmung der Umwelt, also auch Klima- und Wetterschutz, primär durch Bauen, wie auch das Bauwerk wesentlichste Manifestation und Expression war. Bauen war verstanden als Kreation eines dreidimensionalen Gebildes, das den Erfordernissen als Definition des Raumes, als schützende Umhüllung, als Gerät und Werkzeug, als psychisches Mittel und als Symbol entsprach. Die Entwicklung der Wissenschaft und Technologie wie auch der Gesellschaft und ihrer Bedürfnisse und Forderungen hat uns mit ganz anderen Gegebenheiten konfrontiert.
Andere und neue Medien der Umweltbestimmung entstanden.
Sind dies zuerst vielfach nur technologische Verbesserungen herkömmlicher Prinzipien und Erweiterungen der physischen ”Bau- Materialien” durch neue Materialien und Methoden, so werden darüber hinaus etwa nichtstoffliche Mittel zur Raumbestimmung entwickelt. Eine Anzahl von Aufgaben und Problemen wird heute nur noch traditionellerweise durch Bauen, durch ”Architektur” gelöst. Ist jedoch für viele Fragen die Antwort noch ”Architektur”, wie sie verstanden wurde, oder stehen uns nicht geeignete Medien zur Verfügung?
Architekten könnten in dieser Hinsicht einiges von der Entwicklung der Strategie lernen. Wäre diese derselben Schwerfälligkeit unterworfen gewesen wie die Architektur und ihre Konsumenten, so würde man heute noch immer Mauern und Türme bauen. Die Strategie hat jedoch die Bindung an das ”Bauwerk” weitgehend verlassen und zur Bewältigung ihrer Aufgaben und Forderungen neue Möglichkeiten herangezogen.
Ganz offensichtlich fällt es auch niemandem mehr ein, etwa Abflusskanäle zu mauern oder astronomische Geräte aus Stein zu errichten (Jaipur). Viel weiter gehend jedoch sind die Konsequenzen, die etwa die neuen Medien der Kommunikation (sei es Telefon, Radio, Fernsehen u. a.) mit sich bringen, und es wird so ein Begriff wie der des Lehr- und Lerngebäudes (Schule) unter Umständen ganz verschwinden und durch diese Mittel ersetzt werden.
Architekten müssen aufhören, nur in Bauwerken zu denken.
Erwähnt sei auch die Verlagerung des Gewichtes von Bedeutung zu Wirkung. Architektur hat einen ”Effekt”. So wird auch die Art und Weise der Inbesitznahme, die Verwendung eines Objektes im weitesten Sinne wichtig. Ein Gebäude kann ganz Information werden, seine Botschaft könnte ebenso nur durch die Medien der Information (Presse, TV u. dgl.) erlebt werden. Tatsächlich erscheint es fast unwichtig, ob etwa die Akropolis oder die Pyramiden physisch existieren, da sie in der Majorität der Allgemeinheit sowieso nicht durch eigenes Erlebnis, sondern durch andere Medien bewusst werden, ja ihre Rolle eben auf ihrem Informationseffekt beruht.
Ein Gebäude könnte also simuliert werden.
Frühe Beispiele der Extensionen der Architektur durch Kommunikationsmedien sind Telefonzellen – ein Gebäude minimaler Größe, doch eine globale Umwelt direkt einschließend. Umwelten dieser Art in noch engerem Bezug zum Körper und noch konzentrierterer Form liefern auch zum Beispiel die Helme der Düsenpiloten, die durch ihre telekommunikatorischen Anschlüsse die Sinne und Sinnesorgane erweitern, als auch weite Bereiche mit ihnen direkt in Beziehung bringen.
Einer Synthese entgegen und zu extremen Formulierungen des Standortes einer heutigen ”Architektur” führt schließlich die Entwicklung der Raumkapseln und insbesondere des Raumanzuges. Hier wird eine ”Behausung” geschaffen, die weitaus perfekter als jedes ”Gebäude” außerdem noch eine umfassende Kontrolle der Körperwärme, der Nahrungszufuhr und Fäkalverwertung, des Wohlbefindens und dergleichen in extremsten Umständen bietet, verbunden mit einem Maximum an Mobilität.
Diese weiterentwickelten physischen Möglichkeiten leiten dazu über, psychische Möglichkeiten einer künstlichen Umwelt verstärkt ins Auge zu fassen, da nach Wegfall der Notwendigkeit gebauter Umwelten (etwa Umhüllung, Klimaschutz und Raumdefinition) ganz neue Freiheiten erahnt werden. Der Mensch wird nun echt Mittelpunkt und Ausgangspunkt der Umweltbestimmung sein, da Einschränkungen durch eine geringe Zahl vorgegebener Möglichkeiten nicht mehr zutreffen. Die Erweiterung der Medien der Architektur über den Bereich puren tektonischen Bauens und seiner Ableitungen hinaus begann mit Versuchen, insbesondere mit Zugkonstruktionen. Das Verlangen, unser ”environment” nach Wunsch so geschwind und leicht wie möglich zu verändern und es zu transportieren, ließ zum ersten Mal nach einem weiteren Bereich von Materialien und Möglichkeiten Ausschau halten – nach Mitteln, die etwa in anderen Gebieten zum Teil schon seit langem Anwendung fanden. So haben wir heute ”genähte” Architektur, wie es auch ”aufgeblasene” Architektur gibt. Dies alles sind jedoch Mittel der Architektur, die im Grunde noch materiell, noch Bau-”Materialien” sind.
Wenige Versuche wurden jedoch gemacht, mit anderen als physischen Mitteln (etwa Licht, Temperatur, Geruch) unsere Umwelt zu definieren, Raum zu bestimmen. Hat hier schon die Verwendung herkömmlicher Verfahren weitgehende Erweiterungsmöglichkeiten, so sind diejenigen des Lasers (Holograph) noch kaum vorauszusagen. Schließlich sind praktisch überhaupt keine Untersuchungen für die gezielte Verwendung von Chemikalien und Drogen sowohl zur Kontrolle der Körpertemperaturen und Körperfunktionen als auch zur artifiziellen Schaffung einer Umwelt angestellt worden. Architekten müssen aufhören, nur in Materialien zu denken.
Die gebaute und physikalische Architektur wird, da nun im Gegensatz zu den wenigen und beschränkten Mitteln vergangener Epochen eine Vielzahl solcher zur Verfügung steht, sich intensiv mit Raumqualitäten und der Befriedigung psychologischer und physiologischer Bedürfnisse beschäftigen können und einen anderen Bezug zum Prozess der ”Errichtung” einnehmen. Räume werden deshalb weit bewusster etwa haptische, optische und akustische Qualitäten besitzen, Informationseffekte beinhalten wie auch sentimentalen Bedürfnissen direkt entsprechen können.
Eine echte Architektur unserer Zeit ist daher im Begriffe, sich sowohl als Medium neu zu definieren als auch den Bereich ihrer Mittel zu erweitern. Viele Bereiche außerhalb des Bauens greifen in die ”Architektur” ein, wie ihrerseits die Architektur und die ”Architekten” weite Bereiche erfassen.
Alle sind Architekten. Alles ist Architektur. (HH 1967)