Catalysis IV

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© Generali Foundation

Adrian Piper

Catalysis IV, 1971

Dokumentation der Performance 5 Schwarz-Weiß-Fotografien, Silbergelatine auf Barytpapier (Abzüge ca. 1998) à 41 x 41 cm, gerahmt à 50 x 52 cm

GF0003326.00.0-2003

Werktext

Talking to Myself IV. Konkretisierte Ideen, um die herum ich gearbeitet habe Ich kann separate Formen oder Objekte in der Kunst nicht mehr als brauchbare Reflexionen oder Ausdruck dessen ansehen, was meiner Ansicht nach in dieser Gesellschaft vor sich geht: Sie beziehen sich auf Bedingungen von Separatheit, Ordnung, Exklusivität und eine Stabilität einfach akzeptierter funktionaler Identitäten, die so nicht mehr gegeben sind. Denn wie nachträglich auch immer dieser Grund formuliert zu sein scheint, die Eliminierung der separaten Form als Kunstobjekt (einschließlich kommunikationsmedialer Objekte), als Ding an sich, mit seinen isolierten internen Beziehungen und sich selbst bestimmenden ästhetischen Standards, interessiert mich wirklich. Ich habe Arbeiten geschaffen, deren Bedeutung und Erfahrung so vollständig wie möglich durch die Reaktion und Interpretation des Betrachters oder der Betrachterin definiert werden. Im Idealfall hat das Werk keine Bedeutung oder unabhängige Existenz außerhalb seiner Funktion als Medium der Veränderung. Es existiert nur als katalytischer Agent zwischen meiner Person und dem/der BetrachterIn. Ein Beispiel hierfür ist Catalysis I, für das ich eine Garnitur Kleidungsstücke eine Woche lang in einer Mischung aus Essig, Eiern, Milch und Lebertran getränkt und sie dann in einem U-Bahn Wagen der D-Linie im abendlichen Berufsverkehr sowie Samstag abends beim Stöbern im Marlboro-Buchladen getragen habe. Artifizielle und nicht-funktionale plastische Veränderungen meiner eigenen körperlichen Präsenz in der gleichen Weise vornehmen, wie ich sie früher an unbelebten oder nicht-künstlerischen Materialien vorgenommen hatte. Hier haben der Prozess der Kunstproduktion und das Endprodukt die Unmittelbarkeit, sie befinden sich im gleichen Zeit- und Raumkontinuum wie der/die BetrachterIn. In gewisser Weise habe ich dieses Prozess/Produkt verinnerlicht, da ich zugleich als Künstlerin und als Werk existiere. Ich definiere das Werk als die Reaktion des Betrachters oder der Betrachterin. Die stärkste, komplexeste und ästhetisch interessanteste Katalyse tritt in der nicht kategorisierten, undefinierten, nicht pragmatischen menschlichen Konfrontation auf. Die Unmittelbarkeit der Präsenz des Künstlers oder der Künstlerin als Kunstwerk/Katalyse konfrontiert den/die BetrachterIn mit einer Situation, die umfassender, mächtiger und ambivalenter ist als separate Formen oder Objekte. Zum Beispiel Catalysis IV, bei der ich sehr konservativ gekleidet war, zugleich aber ein großes weißes Badetuch in meinen Mund stopfte, bis meine Backen fast auf das Doppelte ihrer Normalgröße angeschwollen waren. Den Rest des Badetuchs ließ ich vor mir herunterhängen und fuhr so mit dem Bus, der U-Bahn und dem Fahrstuhl des Empire State Buildings; Catalysis VI, bei der ich heliumgefüllte Mickey-Mouse-Ballons an meinen Ohren, meiner Nase, meinen vorderen zwei Schneidezähnen und an dünnen Strähnen meiner Haare befestigte und so durch den Central Park und die Lobby des Plaza Hotels lief und während des morgendlichen Berufsverkehrs mit der U-Bahn fuhr. Den Eindruck und den nicht kategorisierten Charakter der Konfrontation erhalten. Mich bei der Performance irgendwelcher ungewöhnlicher oder theatralischer Handlungen gegenüber den BetrachterInnen nicht zu sehr als Kunstwerk definieren. Solche Aktionen haben die Tendenz, die Situation mithilfe bereits etablierter Kategorien des “Guerillatheaters”, “Events”, “Happenings”, der “Straßenkunst” etc. zu definieren, und erschweren auf diese Weise Desorientierung und Katalyse. Zum Beispiel Catalysis III, bei der ich eine Garnitur Kleidungsstücke mit klebriger weißer Farbe bemalte, ein Schild daran befestigte, auf dem “NASSE FARBE” stand, und dann so bekleidet zu Macy’s ging, um Handschuhe und eine Sonnenbrille einzukaufen; Catalysis V, bei der ich in Fünf-Minuten-Intervallen laute Rülpser aufnahm, dann den Kassettenrekorder versteckt mit mir trug und die Kassette bei voller Lautstärke abspielen ließ, während ich in der Donnell-Bibliothek las, recherchierte und einige Bücher und Aufzeichnungen herausnahm. Aus diesem Grund kündige ich die meisten dieser Arbeiten nicht vorher an, da dies unweigerlich eine Trennung zwischen Publikum und Performerin produziert und in psychischer Hinsicht den gleichen Effekt hat wie eine von Stuhlreihen umringte Bühne in physischer. Kunstkontexte als solche (Galerien, Museen, Performances, Situationen) sind für mich zunehmend unannehmbar; sie werden von den Bruchstücken anderer desintegrierender Strukturen überrollt und infiltriert: politischen, sozialen, psychologischen und ökonomischen. Sie halten, ähnlich wie separate Formen, an der Illusion einer identifizierbaren, isolierbaren Situation, und damit auch an einem standardisierten Set von Reaktionen fest. Aufgrund ihrer etablierten funktionalen “Identitäten” bereiten sie den/die BetrachterIn darauf “vor”, katalysiert zu werden, und verunmöglichen so die eigentliche Katalyse (statt ihre bequemere Illusion zu verunmöglichen, welche darin besteht, die Besonderheiten einer ästhetischen Erfahrung einzufügen, deren allgemeine Umrisse bereits feststehen). Zu den Kontexten, die ich abwechselnd verwendet habe, zählen U-Bahnen, Busse, Macy‘s, der Union Square, das Metropolitan Museum of Art (als Betrachterin in Catalysis VII, bei der ich zur Ausstellung “Before Cortes” ging und dabei große Klumpen Kaugummi kaute, große Blasen machte und den Kaugummi auf meinem Gesicht kleben ließ), und so weiter. So viele Schritte der Entscheidungsfindung, so viele Verfahrensweisen und Kontrollen wie möglich eliminieren. Dies hat für mich eine notwendige psychologische Funktion, da so die Trennung zwischen ursprünglicher Vorstellung und endgültiger Form einer Idee verringert oder eliminiert wird; die Unmittelbarkeit der Vorstellung bleibt so weit wie möglich im Prozess/Produkt enthalten. Aus diesem Grund ist es mir nicht möglich, über die endgültige Form, die eine Idee annimmt, Rechenschaft abzulegen. Es ließe sich einwenden, dass alle bisher beschriebenen Ideen Kriterien der Entscheidungsfindung darstellen. Tatsächlich ist mir jedoch fast alles, worüber ich geschrieben habe, erst im Nachhinein in den Sinn gekommen, einschließlich der Ideen in diesem Absatz. Was bedeuten könnte, dass es Zeit ist, etwas anderes anzufangen. (Adrian Piper)

Leihgeschichte
2024 Mailand, IT, Padiglione d'Arte Contemporanea (PAC) 2019 Arizona, USA, Scottsdale Museum of Contemporary Art (SMoCA) 2019 Düsseldorf DE, K21 2018 Los Angeles, CA, USA, The Hammer Museum 2018 New York, NY, USA, Museum of Modern Art (MoMA) 2013 Mönchengladbach, DE, Museum Abteiberg 2012 Karlsruhe, DE, Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) 2005 Rotterdam, NL, Witte de With 2.OG 2005 München, DE, Haus der Kunst