Yinka Shonibare
Yinka Shonibare CBE RA wurde 1962 in London/Großbritannien geboren. Von 1965 bis zu seinem 17. Lebensjahr wuchs er in Lagos/Nigeria auf. 1979 kehrte er als Jugendlicher nach London zurück und schloss seine Schulausbildung mit dem Advanced Level ab. Er studierte von 1984 bis 1989 Malerei an der Byam Shaw School of Art (heute: Central Saint Martins College of Art and Design). Von 1989 bis 1991 absolvierte er ein Studium an der Goldsmiths, University of London, wo er einen Master erlangte.
Im Jahr 2009 zeichnete ihn Goldsmiths, University of London als Fellow aus. 2004 verlieh ihm Tate London den renommierten Turner Prize. 2005 folgte die Ernennung zum Member of the most excellent Order of the British Empire (MBE) und 2019 zum Commander of the most excellent Order of the British Empire (CBE). Seit 2013 ist der Künstler Mitglied der Royal Academy. Yinka Shonibare lebt und arbeitet in London.
Seit 1997 zahlreiche Teilnahmen an Gruppenausstellungen; Einzelausstellungen (Auswahl) u.a. im Victoria and Albert Museum, London, GB (2000); Tate Britain, London, GB (2002); Moderna Museet Stockholm, SE, (2004); Boijmans Van Beuningen,Rotterdam, NL (2004); National Museum of African Art Smithsonian Institution, Washington, D.C., USA (2009); Brooklyn Museum, New York City, USA, (2009); Museum of Contemporary Art Sydney, AUS, (2009); Daegu Art Museum, Daegu, Korea (2015); 2021 widmete das Museum Moderner Kunst Salzburg dem Künstler eine großangelegte Einzelausstellung unter dem Titel End of Empire.
Shonibare zählt heute zu den international bedeutendsten britischen Künstlern. Seine Familiengeschichte wurzelt in Nigeria und ist mit der Zeit der britischen Kolonialmacht verwoben. 1960, nur zwei Jahre vor seiner Geburt, erlangte Nigeria nationale Freiheit und Unabhängigkeit. Aufgrund seiner bi-kulturellen Prägung bezeichnet sich Shonibare als einen postkolonialen Hybriden. Bedingungen der Konstruktion nationaler und kultureller Identitäten sind zentrale Themen seiner Kunst. Eine neurologische Erkrankung an der er seit seinem 18. Lebensjahr leidet, zog eine halbseitige Lähmung nach sich, die ihn zum Gebrauch eines Rollstuhls zwingt. Sie liefert einen weiteren Grund für ein Dasein, das er selbst als Outsider within charakterisiert. Sein afrikanisches Erbe und sein körperliches Schicksal begründen eine persönliche Betroffenheit und mehrdimensionale Verletzbarkeit. Sie sind für den Künstler der Anlass, seine eigenen Erfahrungen mit Rassismus, Xenophobie und Migration, die Geschichte von Europa und Afrika, ihre politischen und gesellschaftlichen Verstrickungen in den Kolonialismus und Postkolonialismus in unserer heutigen Zeit des Globalismus kritisch zu thematisieren. Er tritt zudem durch sein aktives und entschiedenes Engagement für die allgemeine Anerkennung der Rechte von Behinderten und seine Forderung ihre Kunstproduktion als letzte Avantgarde anzuerkennen, öffentlich in Erscheinung.
Der Künstler verfolgt eine vielseitige künstlerische Praxis. Zeichnungen und grafische Werke fertigt er selbst. Für die Verwendung der Ausdruckmittel Fotografie, Film und für große Projekte, darunter plastische Einzelwerke und raumgreifende Installationen, arbeitet er mit Teams zusammen, die er instruiert.
Als Kunststudent wurde Shonibare dazu ermuntert, seine afrikanische Herkunft künstlerisch zu reflektieren. Das veranlasste ihn, kulturelle Authentizität grundsätzlich zu hinterfragen. Infolge entwickelte sich die Verwendung von bunt gemusterten Wax-Print Stoffen zu seinem Markenzeichen. Der Künstler entdeckte in den 1990er Jahren, dass diese bunt gemusterten Stoffe, die auf den ersten Blick vermeintlich typisch „afrikanisch“ sind und Vorstellungen von Authentizität und Exotik wecken, auf der Technik des sogenannten "Dutch wax" beruhen. Es handelt sich um ein Wachsdruckverfahren, das in Indonesien entstand. Die Stoffe wurden in Fabriken in den Niederlanden und Manchester produziert und seit dem 19. Jahrhundert nach Westafrika exportiert. Erst im Zuge der nationalen Unabhängigkeit afrikanischer Staaten wurden diese Stoffe zu emanzipatorischen und stolzen Symbolen kultureller Differenz.
Yinka Shonibares setzt sich in seinen Werken mit dem Erbe des untergegangenen britischen Weltreiches auseinander. Der Künstler verknüpft historische Persönlichkeiten und Ereignisse über die Zeiten hinweg mit kulturellen und ökonomischen Symbolen. Spielerisch deckt er oft erst auf den zweiten Blick Machtverhältnisse auf. Er referenziert auf anerkannte Künstler_innen der westlichen Kunstgeschichte, wie z.B. Cindy Sherman und Carolee Schneemann und William Hogarth, der in seinen Gemälden und grafischen Werken, sozialkritische Sittenbilder der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts schuf, deren Moral er schonungslos und mit beißender Ironie anprangerte.
Mit einem ausgeprägten modischen Stilbewusstsein und einer Vorliebe für das viktorianische Zeitalter entlarvt Shonibare in vergleichbarer Weise den ausschweifenden Lebensstil und das affektierte Benehmen der ‚weißen‘Adelsgesellschaft. Die doppelbödige Moral der feinen Leute inszeniert der Künstler in drastischen lebensgroßen Figuren als kopflose Akteure und in mehrteiligen Figurengruppen, in Fotografie und Film. In ihrer Haltung, Körpersprache und Gestik verdeutlicht er Auswüchse der Dekadenz und Gewalt als „transgressives Verhalten“, das er mit historischen Attributen und Symbolen der heutigen Konsumgesellschaft als Hinweise auf einen Lebensstil verknüpft, der durch Sklaverei und koloniale Ausbeutung ermöglicht wurde. Der Künstler führt uns Sittenbilder und Rollenspiele vor Augen, in denen er die Seiten tauscht und mit Witz und Ironie mitunter selbst zum Protagonisten für ein Spiegelbild wird, das er der westlichen Gesellschaft vorhält. Identitätsstiftende Persönlichkeiten wie z.B. Lord Nelson werden entthront und tauchen in fiktiven Historienbildern ironischer Mehrdeutigkeit auf, aus Kanonenkugeln werden bunte Softbälle. Zur Erinnerung an die Friedensverhandlungen nach dem ersten Weltkrieg, setzt Shonibare Protagonisten der Verhandlungsparteien mit Weltkugeln als Köpfen, auf denen die geopolitische Dimension des Konfliktes kartografisch dargestellt ist, auf eine wippende Schaukel und wirft deren territoriale Ansprüche bildlich in die Waage der Balance.
Shonibare vermag unser traditionelles Geschichtsbild, das dem Fortschrittsdenken verpflichtet, lange an eine einzige lineare Entwicklung glaubte und die Dominanz des globalen Nordens und der westlichen europäischen Gesellschaft unhinterfragt ließ, in vielerlei Hinsicht zu relativieren. (Doris Leutgeb)