Sigalit Landau
Sigalit Landau wurde 1969 in Jerusalem, Israel, geboren und wuchs unter anderem in Philadelphia, USA, und London, UK, auf. Sie studierte zunächst von 1990 bis 1995 an der Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem, wo sie einen Bachelor-Abschluss (BA) erwarb. Im Jahr 1993 studierte sie an der New Yorker Cooper Union School of Art and Design, unter anderem bei Hans Haacke. Nach ihrem Abschluss zog sie für mehrere Jahre nach London.
Im Laufe ihrer Karriere erhielt Landau wichtige Auszeichnungen, darunter 1994 das America-Israel Cultural Foundation Scholarship, 1998 das Ingeborg-Bachman-Stipendium der Wolf Foundation, gestiftet von Anselm Kiefer, 2002 den Young Artist Award des israelischen Ministeriums für Wissenschaft, Kultur und Sport, 2004 erhielt sie den Nathan Gottesdiener Foundation Israeli Art Award, Tel Aviv Museum of Art, 2016 den Sandberg Prize for Israeli Art, The Israel Museum, Jerusalem, 2017 den Chevalier-Orden des Ordre des Arts et des Lettres der Französischen Republik und im selben Jahr die Ehrendoktorwürde der Ben-Gurion University of the Negev.
Sie vertrat Israel im israelischen Pavillon auf der 47. Biennale di Venezia, Italien, 1997 und der 54. Biennale 2011 und nahm 1997 an der documenta X in Kassel, Deutschland, teil. Zu ihren Ausstellungen gehören das Witte de With Centre for Contemporary Art, Rotterdam, NL (1996), das Museo Reina Sofía, Madrid, ES (2005), das Museum of Modern Art (MoMA), New York, USA (2008), das Museu d'Art Contemporani de Barcelona (MACBA), ES (2014) und die Wiener Festwochen (2016). 2019 widmet das Museum der Moderne Salzburg der Künstlerin eine große Einzelausstellung mit dem Titel "Salt Years" an beiden Standorten im Rupertinum und am Mönchsberg. Sigalit Landau lebt und arbeitet in Tel Aviv.
Sigalit Landau stammt aus einer Familie mit altösterreichischen Wurzeln. Ihre Eltern entkamen nur knapp der Schoa. Landau schafft dreidimensional-plastische Werke sowie Installationen und dreht Videos, in denen sie meist selbst Hauptdarstellerin ist. Ihr wohl bekanntestes Video Barbed Hula ist von einer nüchternen Intensität: Im Jahr 2000 lässt sie nackt am Strand von Tel Aviv einen Hula-Hoop-Reifen aus Stacheldraht um ihre Taille kreisen. Mit jedem Hüftschwung schneidet er öfter und tiefer in ihr Fleisch. Ihr Körper wird zum Gleichnis für das historische Leid der Juden und der aktuellen politischen Krisenregion Israel, wo sich die Interessen von drei Weltreligionen überschneiden. Assoziationen zum christlichen Symbol der Dornenkrone Christi, zu den Stacheldrahtzäunen der nationalsozialistischen Konzentrationslager und der politisch brisanten Abriegelung der Palästinensergebiete sind zulässig. Landau erzeugt starke Bilder einer symbolisch aufgeladenen politischen Ikonografie. Opfer und Täterschaft bleiben ambivalent.
Landaus Salzobjekte wirken auf den ersten Blick ästhetisch schön und dekorativ, geradezu kitschig. Seit über 15 Jahren setzt die Künstlerin das Tote Meer – als ökologische Ressource durch den systematischen Abbau von Rohstoffen und den Klimawandel von der Austrocknung bedroht – quasi als Labor ein. In das Wasser des Toten Meeres, dessen Salzkonzentration so hoch ist, dass es keine übliche Meeresfauna gibt, taucht die Künstlerin Alltagsgegenstände: Schuhe, Möbel, Instrumente, Kleidungsstücke, Fischernetze und eigens geformte Drahtobjekte. Im Sommer lagert sich binnen weniger Wochen eine dichte Salzschicht auf den Oberflächen der Gegenstände ab – Landau lässt die Verwandlung in anmutige, reine, weiße Kristallobjekte zu. Salz besitzt auch symbolisch-spirituelles Potenzial. Die Künstlerin sagt, sie betreibe eine „Archäologie des 20. Jahrhunderts“, und bezeichnet die entstehenden Objekte als „konzeptuelle Gedenk-Readymades“. Erinnerung ist eines ihrer zentralen Themen. Gegenstände, Objekte und Materialien sind von ihrer Vorgeschichte gezeichnet. Das erhebt sie über das rein Dekorative und deutet einen verborgenen Wahrheitsgehalt an.
Landau gehört zur Generation der bereits in Israel Geborenen, die durch den jungen Staat geprägt sind, dessen Ringen um Identität zur alltäglichen Realität seiner Existenz geworden ist. Wenn die Künstlerin in ihren Videos nackt auftritt, ist das keine feministische Provokation gegenüber dem männlichen Blick der kommerziellen Nacktheit in der Werbung, den Medien und der Mode. Ihre inszenierte Nacktheit ist existenziell. Ihr schutzloser Körper wird zur Metapher für Unversehrtheit und Verletzung, Hoffnung und Angst. Bei Barbed Hula offenbart erst der genauere Blick, dass die blutigen Wundmale mit jedem Rotieren nicht mehr werden, weil die Stacheln des Reifens nach außen gebogen sind. Trotz der unmittelbaren Wahrhaftigkeit ihres Agierens lässt Landau sich nicht zu tief auf das Martyrium ein. Es gelingt ihr, die Opferrolle der leidvollen jüdischen Geschichte zu überwinden. Als Künstlerin wirft sie politische, soziale, humanitäre und ökologische Fragen auf, die letztlich aktives Mitgestalten zum Thema haben und einen allgemeingültigen Stellenwert besitzen. Aktuell verfolgt Landau das geopolitische Projekt Salt Bridge. Ihre Vision ist eine Plattform im Zentrum des Toten Meeres, die Israel, Jordanien und die palästinensischen Autonomiegebiete durch drei Brückenarme verbindet.
Die Sammlung Generali Foundation besitzt mit dem frühen Video Three Men Hula (1999), dem Vorläufer ihres Videos Barbed Hula (2000), und drei Salzskulpturen eine repräsentative Werkgruppe der Künstlerin.
(Doris Leutgeb)