Aus der Serie "Hypothesis"
Adrian Piper
Hypothesis: Situation #5, 1969
"Hypothesis Series" (1969-70)
Fotomontage 3 Teile, 3 Seiten Schreibmaschinentext auf Papier, Schwarz-Weiß-Fotokopien, 1 Fotomontage (Raum-Zeitkoordinaten) mit 10 Schwarz-Weiß-Fotografien, Vintage Prints, Silbergelatine auf Barytpapier, montiert auf grünem Millimeterpapier, Tinte Gerahmt 28,5 x 43,6 cm, 28,4 x 22,3 cm, 28,5 x 86,5 cm
GF0003320.00.0-2003
Werktext
Die Arbeit an der Hypothesis-Serie begann 1968 und dauerte bis 1970. In früheren Arbeiten – meinen “rein” konzeptuellen Werken – erforschte ich Dinge, Worte, Töne und Papierblätter als konkrete physikalische Objekte, die einerseits auf sich selbst, andererseits aber auch auf etwas anderes verwiesen, das außerhalb ihrer lag: die Welt abstrakter, symbolischer Bedeutung. Bei der Hypothesis-Serie ging es mir darum, diese Erkundungen mit der Erkundung meines eigenen Körpers zu verbinden, der gleichfalls als konkretes physisches Objekt betrachtet wurde, das auf sich und auf andere Objekte verwies. Daneben wollte ich diese beiden Formen der Erkundung auf ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede hin befragen. Diese Serie bildete das entscheidende Verbindungsglied zwischen früheren Konzeptarbeiten und späteren, stärker politisch ausgerichteten Werken, die um rassen- und klassenabhängige Objektifizierung, Anderssein, Identität und Fremdenfeindlichkeit kreisten. In der Hypothesis-Serie untersuchte ich mich selbst als Objekt, das sich, wie jedes andere Objekt auch, durch Raum und Zeit bewegt. Im Gegensatz zu anderen dreidimensionalen Objekten verfüge ich aber über eine bestimmte Fähigkeit – die Fähigkeit, den Raum und die Zeit, durch die ich mich bewege, bewusst zu registrieren und dieses Bewusstsein darüber hinaus symbolisch – mit Hilfe von Fotos – und abstrakt – mittels eines Koordinatensystems – darzustellen und zu kommunizieren. In bestimmten Zeitintervallen dokumentierte ich die Inhalte meines Bewusstseins im Sinne einer Eigenschaft, durch die ich mich von anderen Objekten in der Welt unterschied. Ich hielt die Kamera vor meine Augen und fotografierte alles, worauf mein Blick zu einem gegebenen Zeitpunkt fiel. Je nachdem, wie es mir angenehm war, wurden die Zeitintervalle entweder gemessen und festgelegt, oder ich knipste einfach drauflos. So sehe ich zum Beispiel in einem Fall in meiner Wohnung fern und knipse während einer Werbesequenz alle zehn Sekunden ein Foto. Oder ich gehe die Hester Street vor meinem Wohnhaus hinunter, drücke aber in willkürlichen Abständen auf den Auslöser, weil ich – eine Gefahr, wenn ich mich allzu sehr auf das Abmessen der Zeitintervalle konzentriere – in niemanden hineinrennen möchte. Die Fotos waren symbolische Repräsentationen der Inhalte meines Bewusstseins an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit. Anschließend trug ich diese Momente in ein Raum-Zeit-Koordinatensystem ein. Die horizontale Achse markiert die Zeit, die vertikale den Raum. Die Fotos verknüpfen den Moment mit einem bestimmten Kreuzungspunkt von Raum und Zeit. Jedes einzelne Werk ist ein Artefakt und Dokument meines Bewusstseins in einem Intervall, das einzigartig ist. Hinsichtlich des Unterschieds zwischen menschlichen und anderen Arten von Objekten bin ich zu folgendem Schluss gekommen: Andere Objekte können (auf andere Dinge) oder auf sich selbst verweisen, doch nur menschliche Objekte können (sich anderer Dinge) bewusst oder selbstbewusst sein. Das heißt, nur menschliche Objekte sind zugleich Subjekte. (Adrian Piper)