Jacqueline Mesmaeker
Jacqueline Mesmaeker wurde 1929 in Uccle (Belgien) geboren. Von 1955 bis 1961 arbeitete sie für Architekturbüros. Ab 1954 studierte sie Mode und Design in der Klasse von Georges („Geo“) De Vlamynck an der Académie royale des Beaux-Arts (Königliche Akademie der Schönen Künste) in Brüssel und schloss das Studium 1957 ab. Von 1962 bis 1966 arbeitete sie als Stylistin bei Inno France und verschiedenen Textilherstellern in der Region Hennegau (Hainaut) und in Flandern. Danach widmete sie sich der bildenden Kunst. 1974 begann sie ein Studium an der École Nationale Supérieure des Arts Visuels de Bruxelles/La Cambre (Nationalschule der Bildenden Künste in Brüssel/La Cambre) in den Fachrichtungen Malerei und dreidimensionaler Raum bei Jo Delahaut sowie urbaner Raum bei Jean Glibert, welches sie 1981 mit einem Master abschloss. 1977 bezog sie ein eigenes Appartement in Brüssel, das bis zu ihrem Lebensende als Atelier diente.
Mesmaeker lehrte viele Jahre an renommierten belgischen Kunstuniversitäten: École des Beaux-Arts (Schule der Schönen Künste) in Wavre (1973–1994), École Nationale Supérieure des Arts Visuels/La Cambre in Brüssel (1981–1984), Académie Royale des Beaux-Arts in Mons (1981–1986) und ISLAP-ERG der École de recherche graphique (Schule für grafische Forschung) in Brüssel (1982–1994).
1988 erhielt sie bei der International Art Competition in New York eine besondere Erwähnung für ihre herausragenden Leistungen im Bereich Mixed Media. 1996 bekam sie den Norwich EAST Award. Im Jahr 2021 wurde sie mit dem Preis der Association internationale des critiques d’art (AICA) ausgezeichnet.
Einzelausstellungen widmeten ihr das Museum van Hedendaagse Kunst, Antwerpen (Belgien, 2018), die Fondation d’Entreprise Hermès in Brüssel (2019), das Museumcultuur Strombeek/Gent (2020), das Bozar, Brüssel (2020) und das Musée Raveel in Zulte (2021). Die erste Retrospektive im deutschsprachigen Raum wurde zeigte die Sammlung Generali Foundation – Dauerleihgabe am Museum der Moderne Salzburg (2025).
Jacqueline Mesmaeker verstarb im Jahr 2023 in Brüssel, Belgien.
Jacqueline Mesmaeker begann ihre Laufbahn in den Bereichen Mode, Design und Architektur. Seit den 1970er-Jahren entwickelte sie eine formal reduzierte, auf konzeptuellem Denken basierende künstlerische Praxis, die sie auf eigenständige Weise mit poetischer Sensibilität verband und multidisziplinär in verschiedenen Medien realisierte. Ihr Œuvre umfasst Skulpturen und skulpturale Interventionen ebenso wie Malerei und Zeichnung, Fotografie, Film und Video sowie Sprache und Text.
Als Kind besuchte Mesmaeker mit ihren Eltern Wien und Salzburg. Sie erinnerte sich an den Bürgeraufstand im Jahr 1934, der sich gegen Engelbert Dollfuß und seine Proklamation eines Ständestaates richtete. Während der „Februarkämpfe“ hörte sie im Karl-Marx-Hof die Schüsse der Gefechte, die sich die dort verschanzten Arbeiter und Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes mit dem Bundesheer und der Heimwehr lieferten. Diese Erinnerung schlägt sich in Mesmaekers Serie „Les Charlottes” nieder. In ihren Werken finden sich immer wieder ausgewählte politische und literarische Bezüge sowie Auseinandersetzungen mit historischen Zusammenhängen, die sie auf subtile und subversive Weise in den Blick rückt. Ein wesentliches Merkmal ihrer Werke ist das feinfühlige Bewusstsein für die existenziellen Prozesse des Erinnerns und Vergessens sowie für die psychische, politische und ästhetische Bedeutung des Subtilen und Verborgenen. Mesmaeker experimentierte mit verschiedenen Raum-, Zeit- und Bildebenen sowie Zeichen- und Symbolsprachen und schuf dabei neue, überraschende Querverbindungen.
Bereits in ihren frühen filmischen Arbeiten beschäftigt sich Mesmaeker mit der Filmleinwand als Objekt. Insbesondere faszinieren sie transparente Leinwände – „durchlässige, kaum lokalisierbare Flächen, die sich in den Lichtbildern der Projektionen auflösen“. Dabei kommt einerseits Glas zum Einsatz, andererseits arbeitet sie mit Tüllstoffen als Projektionsflächen.
Die Sammlung Generali Foundation beinhaltet mit Surface de Réparation (1979) eine bemerkenswerte Multi-Screen-Filminstallation von Jacqueline Mesmaeker. In dieser Installation fächert sie den Bildträger in zwölf transparente Schichten auf und lässt sie von vier Filmprojektionen aus allen Richtungen beleuchten. Die fast immateriell wirkenden Leinwände erzeugen ein vervielfachtes, räumlich aufgefächertes Bild, das aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden kann. Der Titel bezieht sich auf das große Rechteck vor dem Torwarttor auf dem Fußballplatz. Im Zentrum steht ein Fußballspiel, das in seine Einzelteile zerlegt und illusorisch wieder zusammengesetzt wird. Für die Filminstallation produzierte die Künstlerin Aufnahmen von Amateurfußballern, die mit einem unsichtbaren Ball spielen. Deshalb wirken die Körperbewegungen der Spieler wie burleske Possen. Die Projektionen basieren auf drei Filmen: Auf den zwei äußeren Leinwänden simulieren die Spieler ohne Ball typische Bewegungen des Spiels (zwei verschiedene Filme), auf den zehn zentralen, diagonal geschichteten Leinwänden sieht man nur die Bälle hin und her fliegen (gegenläufig, da derselbe Film von zwei gegenüberliegenden Stellen auf die Leinwände projiziert wird). An bestimmten Stellen, an denen sich die Projektionen überschneiden, treten die Spieler nicht mehr ins Leere, sondern treffen wie zufällig die Bälle, die in einer Nachtaufnahme gefilmt wurden und daher wie Lichtpunkte erscheinen. Mesmaeker beschreibt die Installation wie folgt: „Die Filminstallation kann als Dekonstruktion eines Fußballspiels bezeichnet werden. Auf zehn transparenten Leinwänden aus Seidentüll projizieren zwei Projektoren in einer Endlosschleife Bälle, die sich einsam durch den Raum bewegen, von links nach rechts und von rechts nach links. In einem sich öffnenden Winkel zu diesen geschichteten Screens befinden sich zwei weitere lichtdurchlässige Leinwände, auf die [Anm.: mit zwei weiteren Projektoren] Spieler projiziert werden, die ein Fußballspiel ohne Ball mimen. Sie treffen den Ball nur zufällig, abhängig vom Zusammentreffen der Filmprojektionen.“
Mesmaeker ist eine zentrale Figur der belgischen Kunstszene. Ihr künstlerisches Werk stand jedoch lange Zeit im Schatten ihrer männlichen Künstlerkollegen, nicht zuletzt aufgrund ihrer kritischen Haltung gegenüber dem Kunstmarkt. In den vergangenen Jahren hat ihr über fünf Jahrzehnte konsequent entwickeltes Œuvre internationale Anerkennung erfahren. Heute gilt Mesmaeker neben Marcel Broodthaers und Joëlle Tuerlinckx als prägende Persönlichkeit der belgischen Kunst seit den 1970er-Jahren. (Jürgen Tabor)