vivências
Lebenserfahrung.
life experience
Publikation zur Ausstellung von September bis Dezember 2000.
Hrsg. von Sabine Breitwieser. Vorwort von Dietrich Karner. Texte von Sabine Breitwieser, Guy Brett, Mari Carmen Ramírez und den Künstler:innen Luis Camnitzer, Lygia Clark, Alberto Greco, David Lamelas, Lea Lublin, Ana Mendieta, Cildo Meireles, Marta Minujín, Hélio Oiticica.
Vivências, der dem Portugiesischen entnommene Titel dieser Ausstellung und Publikation, versucht mit einem Wort die spezifische Verdichtung von Kunst und Leben in Werken von Künstler:innen aus Lateinamerika in den sechziger und siebziger Jahren zu fassen. Diese standen in einem intensiven Austausch mit Kolleg:innen und Kunstbewegungen in Europa und Nordamerika. Nach einer Phase der Verarbeitung der modernistischen Kunstauffassung der westlichen Metropolen trat in den sechziger Jahren die Auseinandersetzung mit den lokalen Lebensbedingungen ins Zentrum. Nicht die Rückwendung zu den eigenen Wurzeln im Sinne von Folklore, sondern die selbstbewusste, mit Aggression, aber auch mit Lust vorgetragene Neudefinition der eigenen Kultur bildete die Triebfeder vieler künstlerischer Artikulationen in Film, Musik und Literatur und in der bildenden Kunst. Die körperliche, taktile und visuelle Partizipation der Betrachter:innen, die Tendenz zu kollektiven Arbeitsformen und das Engagement für politische, soziale und ethnische Fragen waren Gemeinsamkeiten dieser neuen Kunst. Gängige und billige Materialien kamen zum Einsatz. Gleichzeitig wurden im internationalen Vergleich relativ früh die gerade neu aufgekommenen elektronischen Massenmedien verwendet und reflektiert. All dies hatte eine Demokratisierung und Rückführung der Kunst ins tägliche Leben zum Ziel. Die Künstler:innen verstanden sich als Vermittler:innen und manchmal auch als Erzieher:innen oder gar als Therapeut:innen. Einige schlüpften in die Rolle von Ethnolog:innen, andere wiederum zeigten mit ihrer künstlerischen Aktivität politische Missstände auf.
Wie war es möglich, diese künstlerischen Vorschläge, zum Teil 20 oder 30 Jahre später, in einen gänzlich anderen gesellschaftlichen und politischen Kontext versetzt, erfahrbar zu machen? In dieser Ausstellung wurde besonders die unmittelbare körperliche Erfahrung der Kunstwerke und die aktive Teilnahme der Besucher:innen angeregt. Dazu wurden eine Reihe von raumgreifenden Werken rekonstruiert und neu installiert, die jenseits einer Musealisierung von historischen Kunstobjekten aktiv benutzt werden konnten.
In der Publikation werden raumgreifende Werke so dokumentiert, wie diese erstmals von den Künstler:innen selbst und im ursprünglichen Kontext installiert wurden. Dazu wurde eine Auswahl von relevanten und von den Künstler:innen selbst verfassten Texten veröffentlicht. Zusätzlich sind Aufnahmen aus der Ausstellung enthalten, welche die Werke nicht nur „in ein besseres Licht rücken", sondern mit denen einige der Installationen erstmals eine eingehendere fotografische Dokumentation erfahren. Gemeinsam mit den Aufsätzen von renommierten Autor:innen und Expert:innen vermittelt diese Publikation einen Einblick in das herausragende Schaffen lateinamerikanischer Künstler:innen und weckt gleichzeitig ein kritisches Bewusstsein zu Fragen der Rezeption und Institution.