Mary Kelly
Post-Partum Dokument. Das komplette Werk (1973-79)
Kuratorin: Sabine Breitwieser
Kuratorin Archivsektion: Juli Carson
Kuratorische Assistenz, Ausstellungsproduktion: Hemma Schmutz
"Post-Partum Dokument" von Mary Kelly ist ein zentrales Werk der 1970er Jahre, welches das Mutter-Kind Motiv vollkommen neu beleuchtet. Kellys innovative Sichtweise der Repräsentation von weiblicher Sexualität stieß Ende der 1990er Jahre wieder auf großes Interesse. Das aus sieben Abschnitten, gesamt 139 Einzelteilen, bestehende Werk hatte bereits eine lange Ausstellungsgeschichte, wurde jedoch erstmals im deutschsprachigen Raum vorgestellt. Da sich die einzelnen Abschnitte in sechs prominenten Sammlungen auf drei verschiedenen Kontinenten befinden, bot die Ausstellung in der Generali Foundation zum ersten Mal die Gelegenheit, alle Teile von "Post-Partum Dokument" gemeinsam zu sehen.
Mary Kelly verwendet in "Post-Partum Dokument" das konzeptuelle Verfahren der Dokumentation für eine Subjektbefragung. In der Einleitung und den sechs folgenden Abschnitten wird die Beziehung der berufstätigen Mutter zu ihrem männlichen Kind behandelt. Fragen nach der Entstehung von Geschlechterdifferenz und dem weiblichen Fetischismus stehen im Zentrum. Die Psychoanalyse, im besonderen deren linguistische Neuformulierung durch Jacques Lacan, ist dabei wichtiger Bezugspunkt. Die Diskussion und Anwendung dieser Erkenntnisse in Bewusstseinsbildungsgruppen sowie der kollektive Aktivismus der Frauenbewegung im London der 1970er Jahre sind der praktische Hintergrund.
In der "Einführung" führt Mary Kelly als Leitmotiv der gesamten Arbeit den Begriff der "Intersubjektivität" ein, den sie mit einem Diagramm von Lacan auf vier Babyhemdchen ihres Sohnes druckt. Die folgenden Abschnitte dokumentieren die Entwicklung des Kindes bis zum fünften Lebensjahr und reflektieren die Beziehung zwischen Mutter und Kind sowie deren wechselseitige Sozialisation. Babyhemdchen, schmutzige Windeln, Zeichen- und Schriftspuren, Abdrücke der Hände und präparierte Insekten stehen für die Erinnerungsgegenstände der Mutter, aber auch dafür, wie diese die Loslösung von ihrem Kind verarbeitet. Diese persönlichen Gegenstände hat die Künstlerin mit tagebuchartigen Kommentaren und quasi-wissenschaftlichen Daten versehen. Subjektive Verweise und eher distanzierte, theoretische Ansätze in Form von Diagrammen stehen einander gegenüber.
In kritischer Auseinandersetzung mit Psychoanalyse und Feminismus sowie durch ihre provokante Haltung gegenüber der Konzeptkunst ist es Mary Kelly gelungen, ein vielschichtiges Kunstwerk zu schaffen, das einen zentralen und symptomatischen blinden Fleck des Modernismus aufzeigt: die Frau als Künstlerin und Mutter. Der siebenjährige Reflexions- und Visualisierungsprozess von Mary Kelly wird mittlerweile als einzigartig in der Kunstgeschichte angesehen.
Ergänzt wurde die Ausstellung durch Archivmaterialien, welche die Rolle der Künstlerin in der (feministischen) Kunstbewegung der 1970er Jahre sowie die Entstehung und Rezeption von "Post-Partum Dokument" veranschaulichen. Weitere Arbeiten, die mit dem Dokument in enger Verbindung stehen, wie die Fotoserie "Primapara" (1974/96), die Filme "Antepartum" (1973) und "Nightcleaners" (1975) waren ebenfalls in der Ausstellung und im Studienraum in Wien zu sehen.
Mary Kelly (*1941, USA) war immer gleichzeitig in mehreren Berufsfeldern aktiv, als Lehrende, Kuratorin und Künstlerin sowie als Theoretikerin mit besonderem Interesse für Psychoanalyse und Feminismus.
Im Zusammenhang mit dem Projekt wurde ein Archiv zu Mary Kelly aufgebaut worden, das im Generali Foundation Studienzentrum frei zugänglich ist.