Geografie
und die Politik der Mobilität

  • 01_2003_1_geografie_grhalle05 Ausstellungsansicht: Geografie und die Politik der Mobilität, © Generali Foundation, Foto: Werner Kaligofsky
  • 02_2003_1_geografie_grhalle02-frontera01 Ausstellungsansicht: Geografie und die Politik der Mobilität, © Generali Foundation, Foto: Werner Kaligofsky
  • 03_2003_1_geografie_grhalle03-frontera02 Ausstellungsansicht: Geografie und die Politik der Mobilität, © Generali Foundation, Foto: Werner Kaligofsky
  • 04_2003_1_geografie_grhalleseite02-raqs Ausstellungsansicht: Geografie und die Politik der Mobilität, © Generali Foundation, Foto: Werner Kaligofsky
  • 05_2003_1_geografie_grhalleseite03-bureau Ausstellungsansicht: Geografie und die Politik der Mobilität, © Generali Foundation, Foto: Werner Kaligofsky
  • 06_2003_1_geografie_klhalle06_solidsea Ausstellungsansicht: Geografie und die Politik der Mobilität, © Generali Foundation, Foto: Werner Kaligofsky
  • 07_2003_1_geografie_klhalle01-multiplicity Ausstellungsansicht: Geografie und die Politik der Mobilität, © Generali Foundation, Foto: Werner Kaligofsky
  • 08_2003_1_geografie_klhalle02-mult-ghostship01 Ausstellungsansicht: Geografie und die Politik der Mobilität, © Generali Foundation, Foto: Werner Kaligofsky
    17.01. bis 27.04.2003
    Gastkurator:in: Ursula Biemann
    Kuratorische Assistenz und Ausstellungsproduktion: Luisa Ziaja

    Werke von Bureau d’études, Frontera Sur RRVT, Raqs Media Collective, Makrolab, multiplicity.

    Die Reihe experimenteller, gast-kuratierter Ausstellungen in der Generali Foundation wurde 2003 von der Schweizer Künstler:in und Kurator:in Ursula Biemann fortgesetzt, die ein Konzept zum Thema Geografie und künstlerische Praxis entwickelte. Anhand fünf kollektiver Projekte internationaler Künstler:innen, die überwiegend erstmals präsentiert wurden, beleuchtete die Ausstellung den Begriff des Geografischen, der damals wie heute einer grundlegenden Veränderung unterzogen wird. Durch gesteigerte Mobilität, globale Migrationsbewegungen wie auch neue Arbeitsverhältnisse, die sich in virtuellen, weltumspannenden Aktivitäten äußern, entstanden neue Definitionen abseits der Geowissenschaften. Die Zirkulation von Menschen, Daten und Gütern bildete neue kulturelle, soziale und virtuelle Landschaften, die sich materiell ins Terrain einschreiben. Geografie wurde im Rahmen dieser Ausstellung als ein Denkmodell verstanden, das uns erlaubte, über Konzepte von Begrenzung, Konnektivität und Transgression in der Gesellschaft nachzudenken.

    In der piktografischen Installation "World Monitoring Atlas" visualisierte das Pariser Künstlerduo Bureau d’études (Léonore Bonaccini und Xavier Fourt) das weit verzweigte Netzwerk datensammelnder Systeme, welches zwischen Individuen, transnationalen Unternehmen, Regierungen, Militärs, zwischenstaatlichen Agenturen und BürgerInnengruppen existiert. Im Gegensatz zur geografischen Karte, die analog gelesen wird, weil ihr eine phänomenologische Raumauffassung zugrunde liegt, handelt es sich beim Organigramm um eine digitale und strukturelle Darstellung. Diese scheint dem Realen, das sich nicht länger fotografisch erfassen lässt, angemessener zu sein. Bureau d’etudes entwickelt seine Installationen oftmals in Zusammenarbeit mit dem Kulturtheoretiker und Journalisten Brian Holmes. Arbeiten von Bureau d’études wurden u.a. auf der World-Information Exhibition in Amsterdam gezeigt.

    Frontera Sur RVVT (Europas Südgrenze in Real, Remote und Virtual Time - Ursula Biemann, Regula Burri, Rogelio Lopez Cuenca, Valeriano Lopez Dominguez, Helena Maleno Garzon, Alex Muñoz Riera, Angela Sanders) versteht sich als eine lose Gruppe von Künstler:innen und Aktivist:innen. Anlässlich der Ausstellung realisierten sie ein Projekt, das sich mit dem spanisch-marokkanischen Grenzgebiet sowie seinen vielschichtigen Bedeutungsebenen beschäftigte. In dieser Grenzregion wirken Fragen nach Geschlecht, ethnischer Filterung, Migration und Arbeit, sowie nach technologischen Kontrollmechanismen im öffentlichen Raum konzentriert zusammen. Arbeitsverhältnisse auf Plantagen oder in privaten Haushalten, heimliche Bootsüberfahrten und Radarpatrouillen - all diese unterschiedlichen Beweggründe für Mobilität offenbarten ein komplexes Kräfteverhältnis, das die metaphorische und materielle Konstitution von Grenzen neu formuliert.

    Makrolab, 1994 vom slowenischen Künstler Marko Peljhan initiiert, war eine nomadische, temporäre Forschungsstation, die es wechselnden Teilnehmer:innen ermöglichte, an entlegenen Orten und unter isolierten Bedingungen Datenströme aus der ganzen Welt zu empfangen, zu reflektieren und zu verarbeiten. Künstler:innen und Wissenschaftler:innen entwickelten für dieses autonom betriebene Labor Projekte, die zur jeweiligen Umgebung in Beziehung standen. Die gezeigte Installation dokumentierte den zweimonatigen Aufenthalt des Labors im schottischen Hochland im Sommer 2002, anhand dort entstandener Videoaufzeichnungen und audio-visueller künstlerischer Arbeiten, in Kombination mit Einspielungen von Nachrichtensendern in Real-Time. Eine Wandinstallation zeigte zudem schlagwortartig die wesentlichen Themenfelder und Ziele des Makrolab auf und führte anhand einer Timeline die bisherigen Stationen in Deutschland (Dokumenta X), Slowenien, Australien, Schottland, sowie damals zukünftig geplante an. 2007 sollte das Makrolab in die Antarktis verlegt werden und dort als permanentes Kunst/Wissenschaftslabor stationiert sein.

    Das von Mailand aus agierende Kollektiv multiplicity (Stefano Boeri, Maddalena Bregani, Francisca Insulza, Francesco Jodice, Giovanni La Varra, Armin Linke und John Palmesino) präsentierte mit "Case 01 + 02" seines damals fortlaufenden Projektes "Solid Sea" eine neue Studie zu den veränderten Bedingungen des Mittelmeerraumes. Aus mehreren Perspektiven und mit Hilfe unterschiedlicher Repräsentationsformen - Karten, Fotografien und Videos - imaginierte multiplicity das Meer als eine feste Masse und beschäftigte sich sowohl mit den Bewegungsflüssen, die es durchqueren, als auch mit der Identität der Individuen, die es bewohnen. Eine erste Fallstudie zu "Solid Sea" wurde auf der Documenta 11 präsentiert, die damals neue Arbeit "World Odessa" beschäftigte sich mit zwei Schiffen, die in der Küstenstadt Neapel vor Anker liegen.

    Am Beispiel indischer Telearbeiterinnen thematisierte das Raqs Media Collective (Jeebesh Bagchi, Monica Narula und Shuddhabrata Sengupta) in seiner Video- und Textinstallation A/S/L (Age/Sex/Location) die geschlechtsspezifischen Arbeitsbedingungen innerhalb der ausgelagerten Online-Datenindustrie, die damals und heute gerade in Indien besondere Ausbreitung gefunden hat. Die Arbeitsverhältnisse dieses neuen "digitalen Proletariats" bedingen das ständige Umschalten zwischen Online- und Offline-Welt, der sich unter anderem in einem Wechsel der Identität manifestiert, sowie die Orientierung zwischen den jeweiligen kulturellen und ökonomischen Gegebenheiten. Die Realität eines Raumes wird von der Ungleichheit eines anderen getragen.