Dinge, die wir nicht verstehen
Gastkurator:innen: Roger M. Buergel, Ruth Noack
Kuratorische Assistenz, Ausstellungsproduktion: Hemma Schmutz
Werke von Eleanor Antin (USA), Ines Doujak (AT), Harun Farocki (DE), Peter Friedl (AT), Inigo Manglano-Ovalle (ESP), Nina Menkes (USA), Alice Ohneland (DE), Alejandra Riera (ARG)
Irritation gehört zur Erfahrung zeitgenössischer Kunst. Allerdings stören Menschen, Dinge oder Situationen, die Unverständnis erregen, die gewohnten Alltagsabläufe und etablierten Weltbilder. Gleichzeitig will niemand akzeptieren, dass die Welt aus nichts Anderem als Konventionen besteht. Der Kunst ist die gesellschaftliche Aufgabe zugefallen, dieses Andere zu repräsentieren. Im bürgerlichen Kunstverständnis zeigt sich darin die Freiheit der Kunst. Eine gesellschaftskritische Kunstpraxis sieht hier die Möglichkeit, das Ausgeschlossene, Verdrängte oder Ungedachte sichtbar zu machen. Doch weder der Ort der Kunst, noch ihr Inhalt und Tun sind von sich aus schon frei oder kritisch. Die Bedeutung der Kunst bleibt von der jeweiligen Situation abhängig, in der künstlerische Praxis und Publikum aufeinandertreffen.
Wo, so fragte die Ausstellung, verschmelzen Alltagserfahrung und ästhetische Erfahrung? Die Künstler:innen arbeiteten mit Versatzstücken des Alltags, mit dokumentarischen oder fiktiven Bildern, mit Gebrauchsgegenständen und Genres. Dabei begriffen sie weder ihr Ausgangsmaterial noch ihre Ausdrucksmittel als neutral, sondern als von Machtverhältnissen durchzogen. Trotz unterschiedlicher formaler und inhaltlicher Schwerpunkte teilten sie das Interesse, die Versatzstücke des Alltags ästhetisch umzuwandeln und damit eine Irritation auszulösen. Dabei ging es nicht darum, bei den Betrachter:innen Missverständnisse oder Unverständnis hervorzurufen, als eine potentiell traumatische Erfahrung zu provozieren. Der gestalterische Akt sollte vielmehr Situationen schaffen, in denen sich das Verstehen selbst verändern kann. Und dazu brauchen wir Dinge, die wir nicht verstehen.
Eleanor Antin (*1935) die 1971 in ihrem für die feministische Kunst paradigmatischen Video "Representational Painting" die männlich dominierte Body Art vorführt, ist eine Meisterin der absurden Theatralisierung des Selbst und seiner Existenzweisen. In Gestalt der Ballerina, Krankenschwester oder des entthronten Königs führt sie die Überschreitung der alltäglichen Rationalität, die soziale Beziehungen bestimmt, vor.
Ines Doujak (*1959) stellte in einem Karteikasten "Ohne Titel" pseudo-archivarisch 414 Fotografien zu sechs verschiedenen Themenbereichen zusammen. Ihre dezidiert feministische Bildproduktion kreist u.a. um Fragen der Sichtbarmachung der Sexualität alter Weiber, um lesbischen S/M, um die Un/Möglichkeit Mädchenfreiheit zu symbolisieren und um die kulturellen Erzählungen über Massenvergewaltigungen im jugoslawischen Krieg.
Harun Farocki (*1944) untersucht in seiner neuen Arbeit, einer Video-Doppelprojektion "Ich glaubte Gefangene zu sehen" den Zusammenhang zwischen Architektur, Gesellschaft und der Disziplinierung von Individuen. Das zugrundeliegende Videomaterial ist unverdaulich. Es zeigt, wie im Hof eines amerikanischen Hochsicherheitsgefängnisses Häftlinge, die kämpfen, von Wärtern erschossen werden. Das Schussfeld ist zugleich das Blickfeld der Überwachungskamera und der Schützen. Diese eigens für die Ausstellung produzierte Arbeit wurde für die Sammlung der Generali Foundation angekauft.
Peter Friedl (*1960) geht es um eine Gliederung von sozialem Raum, der die Dinge als aktive Träger psychischer Besetzung ausweist. In "Eishockey", einer zu Plakatgröße aufgeblasenen Kinderzeichnung, stülpen sich Überhöhung und Entleerung ineinander.
Inigo Manglano-Ovalles (*1961) Installation "The El Nino Effect" (1997-98) imitiert ein Wellness-Szenario. Am Ort, der der Entspannung dienen soll, werden dem Individuum Erfahrungen radikaler Andersheit untergeschmuggelt.
Nina Menkes (*1963) "Bloody Child" (1996) fußt auf der feministischen Analyse und Kritik der ödipalen Logik von Narrativität. Der Film setzt an die Stelle klassischer Narrativität eine Formensprache, die zeigt, dass wir nicht nur durch Rasse, Klasse und Geschlecht, sondern auch durch Farben, Linien und Komposition gebildet werden.
Alice Ohneland seziert künstlerische Produktionsvoraussetzungen mit Hilfe eines historischen Modells, das die Gleichheit von vorindustriellen und post-fordistischen Produktionsweisen (Ausgliederung und Heimarbeit) sichtbar macht. Ihr großformatiges Gemälde diente gleichzeitig als Projektionsfigur wie als Bildschirm, vermittels dessen die Gegenwart sichtbar wird.
Alejandra Rieras (*1965) Bild-Text-Montagen kreisen um das Verhältnis von Existenz und Wahrheit. Wie etwa ist es angesichts der durch die Medien zugerichteten Welt möglich, die Realität einer politischen Gefangenen zu begreifen, ohne dabei in Sentimentalität oder Erstarrung zu verfallen? Der Text, den die wie ein Syntagma aneinandergefügten Fotografien sprechen, tritt in einen Dialog mit den Bildlegenden.