Dass die Körper sprechen,
auch das wissen wir seit langem.*
Kurator:innen: Hemma Schmutz, Tanja Widmann
Werke von John Baldessari, Josef Dabernig, Thomas Eggerer, Michaela Grill/Martin Siewert, Maria Hahnenkamp, Ilse Haider, Daniel Herskowitz, Martha Jungwirth, Allan Kaprow, Mary Kelly, Ella Klaschka/Olivier Foulon, Robert Longo, Antje Majewski, Aernout Mik, Antoni Muntadas, Roman Ondák, Catherine Opie, Fiona Rukschcio, Deborah Schamoni/Ted Gaier, Meike Schmidt-Gleim, Rosemarie Trockel, Hannah Wilke, Francesca Woodman.
Die Sprachen des Körpers standen im Mittelpunkt dieser internationalen Gruppenausstellung, in deren Titel der französische Philosoph Gilles Deleuze zitiert wird. Die Präsentation konzentrierte sich auf den Körper als Akteur willkürlicher, aber auch unwillkürlicher Handlungen, als Träger widersprüchlicher Botschaften, und machte gleichzeitig sein widerständiges Potenzial deutlich. Im Speziellen thematisierte die Ausstellung von welchen Prägungen und Begehren der gestische Ausdruck bestimmt ist.
Das Deleuze' Zitat aus seinem Text über den Künstler Pierre Klossowski (1979) leitet die Thematik - den Körper in seiner Sprachlichkeit - bereits ein und wirkt wie ein provokanter Aufruf, bekannte Fragestellungen neu zu diskutieren. Wie produzieren Körper also Sprache, wie werden diese selbst von ihr erfasst und definiert, und welche Aktionsmöglichkeiten eröffnen sich?
Die Ausstellung näherte sich dem "sprechenden" Körper über sein gestisches Potenzial und verband die Präsentation damals aktueller künstlerischer Arbeiten mit dem historischen Ansatz des Kunstwissenschaftlers Aby Warburg. In seiner in Bildtafeln angelegten Studie, dem "Mnemosyne Atlas" (1925-29), zeigt Warburg die für gegensätzliche Interpretationen offene Struktur der Geste: In der vergleichenden Montage von kunstgeschichtlichen Werken der Antike und Renaissance wurde deutlich, dass ein und dieselbe Geste im Laufe der Zeit mit neuen Bedeutungen aufgeladen werden kann. So können die von Warburg bezeichneten "Pathosformeln" - die durch Emotionen in Gesten formulierten heftigen Bewegungen des Körpers - Furcht wie Euphorie bedeuten, Trauer wie Freude, Befreiung wie Verfall.
Im Ausdruck der Geste liegt also weniger die Expression der Innerlichkeit einzelner Künstler:innen, denn ein sprachlicher Akt in seiner Wiederholbarkeit. Darin liegt die Möglichkeit der neuerlichen Interpretation und das performative Potenzial. Zu dieser für neue Auslegungen offenen Wiederholbarkeit fügt sich die Möglichkeit, in einer Geste gleichzeitig widersprüchliche Bedeutungen zu fassen. Die in der Ausstellung präsentierten künstlerischen Arbeiten bezogen sich auf dieses produktive Spannungsmoment der Geste, und damit auf eine ästhetische Praxis, die Irritation, Brüchigkeit und Mehrdeutigkeit als Ausgangspunkt politischer und ethischer Handlungsoptionen in Film, Kunst und Populärkultur versteht.
Der "Mnemosyne Atlas" von Aby Warburg visualisiert in künstlerischen wie alltagskulturellen Produktionen ein Gedächtnis der abendländischen Kultur. Die Ausstellung versuchte, - ohne damit den Anspruch einer kulturwissenschaftlichen Studie zu erheben - ausgehend vom Auftauchen der oft flüchtigen Geste in alltäglichen Lebens- und Arbeitskontexten, durch die Verknüpfung von Bildern Fragen zu Denk- und Handlungsmöglichkeiten zu stellen.
Die Tafeln des "Mnemosyne Atlas" waren auch visueller Ausgangspunkt für die Gestaltung der Ausstellung. Diese für Warburg bezeichnende Form des bildlichen Denkens wurde in der freien Montage der künstlerischen Arbeiten aufgenommen, wobei Klammern einzelne Sektionen in der Art der Tafeln zusammenfassten. Die Möglichkeit, Bildmaterial quasi als Fundus zu betrachten, der immer wieder neu gruppiert werden kann - darin aber auch keinen endgültigen Abschluss findet, - stellte eine weitere Anregung für die Präsentationsform der künstlerischen Positionen in der Ausstellung dar.
Um den zeitlichen Rahmen der in der Ausstellung gezeigten künstlerischen Arbeiten zu öffnen, bot ein eigener Bild-Text-Bereich mit theoretischen Texten und kunstgeschichtlichen sowie zeitgenössischen Referenzen die Möglichkeit einer erweiterten Lektüre. Gleichzeitig wurden darin Aspekte der vorangegangenen Recherche sichtbar gemacht.
*Gilles Deleuze, "Pierre Klossowski oder Die Sprache des Körpers", in: "Sprachen des Körpers", 1979