Against Method
Die Sammlung gesehen von Gertrud Sandqvist.
Kuratorin: Gertrud Sandqvist
Ausstellungsproduktion: Georgia Holz, Assistenzkuratorin, Generali Foundation
Drei internationale Kurator:innen – Guillaume Désanges, Helmut Draxler und Gertrud Sandqvist – wurden zum 25-jährigen Bestehen der Generali Foundation eingeladen, aus ihrer spezifischen Sicht die Sammlung, die Institutions- und Ausstellungspolitik der Generali Foundation und damit ihre Art, Geschichte anhand institutioneller Arbeit zu schreiben, in äußerst unterschiedlichen Präsentationsformen zu reflektieren. Die verschiedenen Perspektiven, die die Kurator:innen beleuchteten, ihre Fragen zu den Definitionen der sogenannten Konzeptkunst oder – weiter gefasst – Kunst konzeptueller Ausrichtung, zum Sammeln und zum Kuratieren derselben sowie Überlegungen zum Verhältnis von konzeptuellen, auch historischen Strategien des Displays zu den Werken bildeten den Ausgangspunkt für alle weiteren Diskussionen und Vorträge des Jubiläumsjahres.
Guillaume Désanges legte sein Augenmerk auf die „Pionierphase“ der Konzeptkunst der 1960er und 1970er Jahre. Helmut Draxler konzentrierte sich auf die komplexen Zusammenhänge zwischen den Prinzipien des Sammelns und Ausstellens. Mit Gertrud Sandqvists Ausstellung Against Method fand das Jubiläumsjahr seinen Abschluss.
Der Titel der Ausstellung bezog sich auf Paul Feyerabends bekanntes Buch Wider den Methodenzwang. Skizze einer anarchistischen Erkenntnistheorie (1975), in dem der Autor den Anspruch der Wissenschaft auf Erkenntnis durch exakte und systematische Methoden in Zweifel zieht und stattdessen „irrationale Mittel“ als Grundlage experimenteller Forschung vorschlägt. Wissenschaftler:innen sollten dem Prinzip des „Anything goes“ und künstlerischen Vorgehensweisen folgen, um Theorien zwanglos zu entdecken.
Feyerabends Kritik traf sich mit dem Höhepunkt der Konzeptkunst, als Künstler:innen Strukturalismus und wissenschaftliche Methodik wiederum in ihre Werke zu integrieren suchten. In der Sammlung Generali Foundation mit ihrem Fokus auf Konzeptkunst und Institutionskritik zeigen sich auch all jene Aspekte, die der Begriff „konzeptuell“ auszuschließen scheint – Ästhetik, Ausdruck, Geste, Körperlichkeit, Prozess oder Empfindungen – alles, was sich nicht restlos in Zeichen oder Systeme übersetzen lässt. Ausgehend von der Dynamik zwischen einem Zugang, der von der Idee, und einem, der von den Sinnen geleitet ist, präsentierte die Kuratorin Gertrud Sandqvist eine Auswahl von Arbeiten, bei der sie „Wahlverwandtschaften“ setzte.
Ein Schlüsselwerk der Ausstellung war Mary Kellys Prototype aus dem Post-Partum Document I (1974–79), welches die komplexe Beziehung der Mutter/Künstlerin zu ihrem Sohn während seiner ersten Lebensjahre dokumentiert. Kelly wählt eine dezidiert konzeptuelle Systematik und Ästhetik (Listen, Diagramme, Proben, etc.), um dieser tabuisierten subjektiven und körperlichen Erfahrung Struktur zu geben. Dem anhaltenden Problem der Repräsentation weiblicher Identität mittels Darstellung des Körpers begegnet sie durch den gänzlichen Verzicht auf Fotografie zugunsten psychoanalytischer (Lacan) und wissenschaftlicher Methoden. Kelly überschreitet die künstlerische Agenda zusätzlich, indem sie selbst als privilegierte Interpretin ihres eigenen Werkes auftritt.
Mit Elective Affinities/The Truth of Masks & Tables of Affinities (2002) belebt Ana Torfs Walter Benjamins Methode, wie er sie in seinem unvollendet gebliebenen Passagen-Werk betrieb, nämlich, handschriftliche Notizen, Zitate, Bilder zu sammeln und Beziehungen herzustellen. Auf vierzehn Tischen breitete die Künstlerin ein „Buch in der Entstehung“ aus, das ihr eigenes Archiv- und Lesematerial assoziativ neben literarische Fragmente stellte und so versteckte Verbindungen, Affinitäten und Wahlverwandtschaften, deren Matrix die Geistesgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ist, offenlegte. Die begleitende Diainstallation spürte anderen verwandtschaftlichen Beziehungen nach, indem sie das immer gleiche Paar in wechselnden zeitgenössischen und historischen Kostümen eine Soziologie des Porträts vorführen ließ.
Lili Dujouries Serie von Videos mit dem Titel Hommage à … I–V kreist um ein duales Blickregime zwischen inszenatorischer Pose und voyeuristischem Zugriff. Die Künstlerin führt das gesamte exhibitionistische Register vor – sich im Bett wälzend, beschwört sie Erinnerungen an weibliche Akte der Kunstgeschichte herauf –; gleichzeitig verbirgt sie ihr Gesicht und wendet den Blick ab. Sie ist hier kein passives Objekt des begehrenden Blicks, sondern selbst aktive Akteurin, Inszenierende. Sind es bei Dujourie Gesten der Intimität, treten diese in Dan Grahams Body Press (1970–72) in Kommunikation mit einem direkten Gegenüber: Nackt, Filmkameras gegen den eigenen Körper gepresst haltend, filmen sich eine Frau und ein Mann in einem Spiegelzylinder, was beim Betrachten eine Empfindung der Klaustrophobie erzeugt. Doch die Arbeit handelt nicht primär von Sexualität, sondern von Identität, die in den komplexen Blickkonstellationen permanent aufs Neue hergestellt wird. Das Video Untitled von Andrea Fraser dagegen ist das Ergebnis einer Vereinbarung, der zufolge die Künstlerin mit einem Sammler Sex hatte, der die Videodokumentation vorab erworben hatte. Fraser ruft hier die vertrauten Metaphern von Künstlerin/Prostituierte, Galerist/Zuhälter und Sammler/Kunde auf, um die verdinglichten Beziehungen zwischenden Akteur:innen in einem kapitalistischen Kunstsystem zu beschreiben. Allerdings bringt sie die Machtbalance durcheinander, indem sie die Kontrolle über ihren Körper und ihr künstlerisches Werk behält.
Den Blick des Voyeurs und Flaneurs greift auch David Lamelas in Gente di Milano (1970) auf. An einer Straßenecke in Mailand richtet er, wie in einem Akt der Überwachung, eine statische Kamera auf die anonyme Menge von Passant:innen und hält einzelne Momente daraus nochmals fotografisch fest. Der Vergleich des Künstlers mit dem „Jäger“, der seine „Beute“ mithilfe der Kamera einfängt, trifft auch auf Heimo Zobernigs Video Nr. 5 (1991) zu, in dem er sich selbst als Schütze in Szene setzt.
Morgan Fisher und Heimo Zobernig erforschen mit empirischen Mitteln die Mysterien von Farbe. Mit seiner Filminstallation Color Balance (1980/2002) veranschaulicht Fisher schematisch die technischen Abläufe von Farbfotografie und -film und erzeugt dabei ein überraschend sinnliches Erlebnis. Zobernig hingegen untersucht in einer Serie von 28 DIN-A-4-formatigen Aquarellen, Ohne Titel (1987), die Möglichkeiten von Farbe und die damit einhergehende subjektive Empfindung auf sinnliche und systematische Weise. Dabei zeigt er, dass das Gestische selbst in der abstrakten Malerei nicht völlig eliminierbar ist.
Eine Geste ist weder abstrahierte Sprache noch Zeichen, kommt beidem aber nahe. Abhängig vom Körper artikuliert sie, was sich mit Worten nicht ausdrücken lässt.
Martha Roslers Video Semiotics of the Kitchen (1975) ist die feministische Parodie einer Fernsehkochsendung. Wild gestikulierend führt die Künstlerin überspitzt die Tätigkeiten einer Hausfrau und ihre „Werkzeuge“ vor und formuliert mit ihrem „Alphabet der Küche“ eine Kritik an der Rolle der Frau in der patriarchalen Gesellschaft. In Joachim Koesters Film Variations of Incomplete Open Cubes (2011) versucht ein Mann die geometrischen Formen von Sol LeWitts gleichnamigem minimalistischen Werk von 1974, das alle 122 möglichen Variationen von offenen Kuben durchspielt, mit den Fingern nachzustellen. Bei dem Versuch, als „Aufzeichnungsgerät“ eines rationalistischen, konzeptuellen Systems zu fungieren, scheitert der Körper zwar, findet aber eine alternative Form in seinem „Tanz der Hände“. Koesters Arbeit reflektiert auf LeWitts Ausspruch, dass „Konzeptuelle Künstler eher Mystiker als Rationalisten sind“, und verweist damit auf das Scheitern restloser Rationalisierungsversuche gerade der Konzeptkunst.
Die Konzeptkunst basiert zwar auf dem Primat der „Idee“, aber wie aus vielen Werken einer gegen den Strich gelesenen und doch innerhalb des konzeptuellen Rahmens agierenden Konzeptkunst zu erkennen ist, basiert sie auch auf allerlei Objekthaftem, Materiellem, auf Körperlichkeit, Empfindungen und Irrationalem. Die Sammlung Generali Foundation reflektiert dieses Spektrum an „Rissen“, Widersprüchlichkeiten und Paradoxien innerhalb der Konzeptkunst mehr, als man gemeinhin annehmen möchte. Gertrud Sandqvist verfolgte in ihrer Präsentation der Sammlung die Fährte des Credos: Wider den Methodenzwang!
Werke von Lili Dujourie, VALIE EXPORT/Peter Weibel, Morgan Fisher, Andrea Fraser, Isa Genzken, Andrea Geyer, Dan Graham, Hans Haacke, Mary Kelly, Joachim Koester, David Lamelas, Martha Rosler, Ana Torfs, Franz West und Heimo Zobernig.
Gertrud Sandqvist war Professorin für Theorie und Ideengeschichte der bildenden Kunst an der Kunstakademie Malmö der Universität Lund in Schweden. Seit 2011 ist sie, wie zuvor schon von 1995 bis 2007, Rektorin der Kunstakademie. Von 1992 bis 1994 leitete sie die Galleri F 15 in Norwegen. 1989 gründete Sandqvist Siksi – the Nordic Art Magazine, das sie bis 1990 auch herausgab. Sie ist eines der Gründungsmitglieder des European Art Research Network (EARN) und war von 1998 bis 2002 Jurymitglied des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. Umfangreiche Publikationstätigkeit hauptsächlich zu nordischer und europäischer zeitgenössischer Kunst.