Gedenkstätte für Opfer des Nationalsozialismus am Militärschießübungsplatz Graz, "Feliferhof"

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Hans Haacke

Gedenkstätte für Opfer des Nationalsozialismus am Militärschießübungsplatz Graz, "Feliferhof", 1996

Entwurf, anlässlich eines künstlerischen Wettbewerbs auf Initiative des Militärkommandos Steiermark und der steirischen Kunst-am-Bau Kommission, ausgeschrieben vom Amt der Landesregierung Steiermark im Herbst 1995. 17 Blätter, 4 Zeichnungen, 1 Fotomontage, 1 Collage, 6 Fotokopien dieser 6 Blätter mit der erstrebten grafischen Härte, 5 Seiten Text von Hans Haacke à 21,6 x 27,9 cm / 27,9 x 21,6 cm, gerahmt à 25,7 x 32 cm / 32 x 25,7 cm

GF0003067.00.0-2001

Werktext

Gedenkstätte für Opfer des Nationalsozialismus am Militärschießübungsplatz Graz, "Feliferhof", 1996 Entwurf, anlässlich eines künstlerischen Wettbewerbs auf Initiative des Militärkommandos Steiermark und der steirischen Kunst-am-Bau Kommission, ausgeschrieben vom Amt der Landesregierung Steiermark im Herbst 1995. Weitere TeilnehmerInnen des Wettbewerbs: Fedo Ertl, Esther und Jochen Gerz, Fred Höfler/Reinhard Tatzgern, Josef Pillhofer. Das 1996 ausgewählte Projekt Die Gänse vom Feliferhof von Esther und Jochen Gerz ist bis dato nich realisiert worden. Entwurf Ich gehe davon aus, dass die Mehrzahl der Menschen, die die geplante Gedenkstätte besuchen werden, zu Geburtsjahrgängen gehören, die nicht direkt mit dem Nationalsozialismus konfrontiert waren. Viele haben deshalb nur ein geringes Interesse, sich mit einer politischen Vergan-genheit auseinander zu setzen, zu der sie selber keine persönliche Beziehung haben. Sie reagieren oft gelangweilt oder fühlen sich sogar belästigt durch Bemühungen meist älterer und nicht zu ihrem täglichen Umgang gehörenden Menschen, die darauf bestehen, die Erinnerung an den nationalsozialistischen Terror wach zu halten, seiner Opfer zu gedenken und vor Wiederholungen unter anderer Flagge zu warnen. Ein wesentliches Problem bei der Planung der Gedenkstätte am Feliferhof erscheint mir deshalb, dieses auch bei älteren Menschen nicht unbekannte, bis zur Ablehnung reichende Desinteresse zu überwinden. Belehrungen und Ermahnungen zur Betroffenheit laufen Gefahr, allergi-sche Reaktionen zur Folge zu haben und das Gegenteil der erwünschten Wirkung zu erzielen. Dagegen glaube ich, dass Menschen eher bereit sind, sich mit den Fragen auseinander zu setzen, um die es bei der Gedenkstätte geht, wenn man sie durch ein sinnliches Erlebnis packt. Derart sensibilisiert, gewinnen verbale Appelle eine persönliche Bedeutung und eine Wirkung, die sie sonst nicht hätten. Beschreibung des Entwurfs Unterhalb der Schießhalle, auf halbem Weg (50 m) zum ersten mit Gras bewachsenen Erdwall der Schießstrecke, durchschneidet die Schieß-strecke quer ein 25 m langer mit frisch ausgehobener Erde umgebener 3 m tiefer Graben. Ein Fahnenmast an seiner rechten Schmalseite gibt der Stelle eine vertikale Markierung und erlaubt, zu gegebenen Anlässen die österreichische Fahne (auf halbmast) zu hissen. Von der nach Osten vom Schießplatz wegführenden Waldstraße zweigt bald nach dem Verlassen des Platzes ein Pfad ab in den talwärts sich erstreckenden niedrigen Mischwald. Einen Bogen beschreibend senkt sich der Pfad allmählich unter das Niveau des Geländes und mündet in einen unterirdischen Gang. Dieser in die Tiefe führende überdeckte Gang (1,20 m breit, 2,10 m hoch) endet nach etwa 10 m vor einer bis zur Decke reichenden Betonwand (Breite 2,50 m, Dicke ca. 0,50 m). Sie steht in der Mitte eines kleinen Raumes (vom Gangende zur Wand 1,50 m, Länge parallel zur Wand 4,50 m, Höhe 2,10 m), auf dessen runde Wände von jenseits der Betonwand rechts und links mattes Tageslicht fällt. Ein Schritt um die Wand herum öffnet den Blick in einen 25 m langen horizontalen Schacht mit 3 m senkrecht aufragenden Seitenwänden aus frischer Erde. Aus dem 2,50 m breiten Graben sind der Himmel und die bereits erwähnte Fahnenstange zu sehen (wegen des tiefen Gesichts-punktes nur der obere Teil). Am gegenüberliegenden Ende des Schachts bildet ein in Aluminium geätztes, grobkörniges, die gesamte Stirnwand einnehmendes Schwarz-weißfoto den Abschluss. Es zeigt die Exhumierung der Leichen aus einem Massengrab am Feliferhof (veröffentlicht am 27. Mai 1945 in der Neuen Steirischen Zeitung). Durch das Foto kann der Schacht mit dem Massengrab assoziiert werden, das der Historiker Walter Brunner als ein 25 m langes, 2,50 m breites und 3 m tiefes Loch beschrieben hat (Walter Brunner, ”Hinrichtungen und Tötungen durch Staatsorgane in der Steiermark 1938 bis 1945”, Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark, 80. Jahrgang, 1989, S. 277- 292). Diese Assoziation wird durch einen kurzen Text präzisiert, der in eine zweite Aluminiumtafel derselben Größe geätzt ist, die auf der dem Graben zugewandten Seite der Betonwand am Eingang angebracht ist. Er gibt die knappe Auskunft: Am Feliferhof wurde im Mai 1945 ein Massengrab geöffnet. Es enthielt 142 Leichen, Menschen, die von den Nationalsozialisten ermordet worden waren: 116 in Zivilkleidung 10 in ungarischer Uniform 4 in deutscher Wehrmachtsuniform 3 in französischer Uniform 3 in russischer Uniform 2 unbekleidete Frauen 2 unbekleidete Männer 1 in amerikanischer Uniform 1 in SS-Uniform Diese in Garamond gesetzte Information beruht ebenfalls auf Angaben aus dem zitierten Aufsatz von Walter Brunner. Im Erdschacht herrscht Grabesstille. Sie wird während des Schießbetriebs durch den scharfen Knall der in der Nähe abgegebenen Schüsse periodisch unterbrochen. Wegen der Tiefe des Schachts (über 4 m = 3 m Grabentiefe plus 1–1,50 m Höhe des Erdaushubs auf der Gelände-oberfläche) ist der Aufenthalt im ”Grab” nicht mit Gefahr verbunden. Dennoch erwarte ich, dass man sich gefangen, von der Außenwelt isoliert und von einem unsichtbaren Exekutionskommando bedroht, gleichsam an die Wand gestellt fühlt. Das Bewusstsein, sich im Zielbereich der Schießstrecke zu befinden (während des Schießbetriebs außerdem der abrupte Wechsel von absoluter Stille und ohrenbetäubendem Knallen), der Geruch frischer Erde in der Enge des Ortes, gepaart mit den die Assoziationen steuernden Tafeln an den Stirnseiten des ”Grabes”, könnte die psychische Empfindlichkeit dermaßen steigern, dass für einen Moment eine persönliche, wenn auch zunächst unreflektierte Identifikation mit den von den Nationalsozialisten am Feliferhof Ermordeten möglich ist. Ein solches Erlebnis wäre geeignet, als Katalysator für eine kritische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu dienen. Die Schüsse, die über dem symbolischen Massengrab im Laufe des normalen Schießbetriebs abgefeuert werden, können verstanden werden als Ehrensalut für die von den Nationalsozialisten Ermordeten, als Appell an den Schützen, stets die Frage nach der völkerrechtlichen Legitima-tion seines Handelns im Auge zu behalten, und als Aufforderung, bereit zu sein, wenn die Verteidigung der Menschenrechte Waffengewalt erfordert. Die Enge des Ortes erlaubt es nur wenigen Menschen gleichzeitig, die Gedenkstätte zu betreten. Gedenken ist eine im Wesentlichen private Angelegenheit, der ein Besuch als Einzelner am besten gerecht wird. Dem Bedürfnis, eine größere Zahl von Menschen an Gedenkveranstaltun-gen teilnehmen zu lassen, kann in achtungsvoller Distanz auf dem Schießhallenplatz entsprochen werden, von wo das symbolische Massen-grab und die Fahnenstange mit der auf halbmast wehenden österreichischen Fahne zu sehen sind. Ich vermute, dass sich das Ungewöhnliche der Gedenkstätte unter den Benutzern des Schießplatzes herumspricht, und sie sich aus freiem Antrieb – ohne Anleitung eines Vorgesetzten – auf eine Konfrontation mit der Zeitgeschichte einlassen. Zur technischen Ausführung Bei den Erdarbeiten und bei anderen Abschnitten der Verwirklichung des Entwurfes sind einschlägige Fachleute heranzuziehen. Es folgt eine grobe Übersicht über die zu meisternden Probleme mit Überlegungen zu ihrer Lösung. Vor Beginn aller Arbeiten sind an der für den Erdschacht und den unterirdischen Zugang vorgesehenen Stelle Bohrungen und Bodenproben vorzunehmen, um sicherzugehen, dass dort nicht mit gewachsenem Fels oder Quellwasser zu rechnen ist. Der Druck des Hanges auf den Schacht muss durch Spundwände aufgefangen werden. Um das Bild eines frisch ausgehobenen Grabes beizubehalten, verhindert ein Herbizid das Keimen von Samen in dem etwa 1–1,50 m hohen und ca. 2,50 m breiten Erdaushub. Durch dessen permanente ”Unfruchtbarkeit” hebt er sich von seiner Umgebung und den weiter im Tal befindlichen, mit Gras bewachsenen und mit Zielscheiben bestückten Erdwällen ab. Den Schachtwänden muss Ceresit oder ein anderes Mittel, das dem bei archäologischen Grabungen zur Stärkung der Wände benutzten entspricht, injiziert werden, damit sie verfestigt werden. Falls die Erdbeschaffenheit es erfordert, sind die Wände leicht abzuschrägen. Der Boden des Schachts kann mit gelöschtem Kalk versiegelt und so auch bei Regenwetter begehbar gemacht werden. Es ist für Drainage zu sorgen. Wie der Aushub müssen auf der Geländeoberfläche Boden und Wände ihren rohen Erdcharakter behalten. Der unterirdische Zugang könnte wie bei Unterständen mit Fichtenrundhölzern ausgeschalt werden. Die Aluminiumätzungen des Fotos und des Textes müssen wegen des großen For-mats in mehreren Teilen ausgeführt werden. Die 3 mm starken Tafeln werden auf den Stirnseiten des Schachts auf 0,20–0,50 m dicke Beton-wände montiert. Sechs Zeichnungen und ein Zeitungsausschnitt in der Anlage liefern Ansichten und Maße des Entwurfs. (Hans Haacke)