WIE GESELLSCHAFT UND POLITIK
INS BILD KOMMEN

  • 02_2005_3_politik_grhalle01 Ausstellungsansicht: WIE GESELLSCHAFT UND POLITIK INS BILD KOMMEN, © Generali Foundation, Foto: Werner Kaligofsky
  • 01_2005_3_politik_zzaussen-klub2transp1 Straßenansicht: WIE GESELLSCHAFT UND POLITIK INS BILD KOMMEN, © Generali Foundation, Foto: Werner Kaligofsky
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  • 09a_2005_3_politik_creiser Ausstellungsansicht: WIE GESELLSCHAFT UND POLITIK INS BILD KOMMEN, © Generali Foundation, Foto: Werner Kaligofsky
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  • 11_2005_3_politik_zz-willats-innen Ausstellungsansicht: WIE GESELLSCHAFT UND POLITIK INS BILD KOMMEN, © Generali Foundation, Foto: Werner Kaligofsky
  • 12_2005_3_politik_klhalle_kuluncic2 Ausstellungsansicht: WIE GESELLSCHAFT UND POLITIK INS BILD KOMMEN, © Generali Foundation, Foto: Werner Kaligofsky
    16.11. bis 08.12.2005
    Kuratorin: Sabine Breitwieser
    Kuratorische Assistenz, Ausstellungsproduktion: Sonja Feßel

    Werke von Bureau d’études, Alice Creischer / Andreas Siekmann, Maria Eichhorn, Hans Haacke, Klub Zwei / SFC – Schwarze Frauen Community, Andreja Kuluncic, Adrian Piper, Martha Rosler, Stephen Willats.

    Der 2004 gestartete Ausstellungszyklus zu Thematiken der Sammlung war diesmal einem Bereich gewidmet, der wie kaum ein anderer für die Generali Foundation signifikant ist: Kunst – Gesellschaft – Politik. Im Zentrum der Ausstellung, der zweiten in dieser Reihe, standen künstlerische Herangehensweisen, die gesellschaftliche und politische Bedingungen reflektieren oder mitunter sogar Interventionen setzen. Künstler:innen nehmen in ihren Werken spätestens seit den 1960er Jahren verstärkt und offensiv zu sozialen Fragen der Klasse, des Geschlechts, der ethnischen Herkunft sowie der damit verbundenen gesellschaftspolitischen Parameter Stellung. Einige der vielfältigen und oft überraschenden künstlerischen Strategien, die in diesem Feld eingesetzt werden, waren Thema der Ausstellung mit Werken der Sammlung und Leihgaben.

    Die Ausstellung war durch vier bekannte künstlerische Positionen strukturiert, in deren Arbeit die Thematisierung sozialpolitischer Fragen seit den 1960/70er Jahren ein grundsätzliches Anliegen einnimmt. Die ausgewählten Werke von Künstler:innen der jüngeren Generation konnten in Bezug dazu gelesen werden. Nicht einzelne Werke, sondern umfangreichere künstlerische Projekte bildeten dabei den Fokus. Gleich mehreren, einander überlappenden kreisförmigen Flächen wurden in der Ausstellung die differenzierten künstlerischen Praktiken und Bildpolitiken sichtbar.

    Eines der vier Zentren der Ausstellung bildete das "Gallery-Goers’ Birthplace and Residence Profile" (Galeriebesucher - Geburts- und Wohnortprofil, 1969/1970-71) von Hans Haacke (1936 Köln/D — New York/USA). Dieses Werk repräsentiert den Umbruch von seinen Untersuchungen physikalischer und biologischer Systeme zu den legendären Analysen gesellschaftspolitischer und ökonomischer Systeme, die Haacke seit Ende der 1960er unternimmt. Entstanden ist diese Arbeit in zwei Phasen: 1969 lud Haacke die Besucher:innen seiner Ausstellung in einer New Yorker Galerie ein, auf ausgehängten Stadtplänen der einzelnen Bezirke ihren Geburtsort mit einer roten und ihren Wohnort mit einer blauen Nadel zu markieren. Zwei Jahre später zeigte er in einer Galerie in Köln eine Auswertung der 732 angegebenen Wohnorte in Manhattan. Die mehr als 40 Laufmeter füllende Wandinstallation kommt einer sozialen Kartografie des Kunstpublikums von Manhattan aus dem Jahre 1969 gleich.

    Die kartografische Erfassung komplexer ökonomischer und politischer Systeme ist das Prinzip der Arbeitsweise des französischen KünstlerInnenkollektivs Bureau d’études, die in Zusammenhang mit der Anti-Globalisierungsbewegung entwickelt wurde. Im Auftrag der Generali Foundation entstand 2003 der "World Monitoring Atlas", und in der aktuellen Ausstellung war erstmals eine Sammlung der kompletten ab 2001 entstandenen fünfzehn Kartografien zu sehen.

    Als Konsequenz seiner Auseinandersetzung mit Konzeptkunst, den Beschränkungen der Kunstinstitutionen in Verbindung mit eigenen sozialpolitischen Ansprüchen an seine Kunst verlagerte Stephen Willats (1943 London, GB) die Produktion wie die Präsentation seiner Arbeit aus dem Kunstbetrieb heraus und unmittelbar in die Gesellschaft hinein. Seit 1969 entstand eine Reihe von umfassenden multidisziplinären Projekten, die auf jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Kommunikationstheorie oder der Psychologie basieren. Seit seiner Entstehung erstmals wieder präsentiert wurde das "West London Social Resource Project" (1972/73), eines der umfassendsten Projekte von Willats, welches mit vier unterschiedlichen sozialen Gruppen im Westen von London realisiert worden war. In einem mehrstufigen interaktiven Lernsystem wurden die TeilnehmerInnen mittels Fragebögen zur Reflexion ihrer eigenen Verhaltensmuster eingeladen. Sie konnten dadurch deren Stellenwert für die Wahrnehmung ihrer unmittelbaren Umgebung erkennen sowie in einer weiteren Projektphase ein überarbeitetes Modell dazu entwickeln. Während die jeweiligen Zwischenergebnisse den TeilnehmerInnen an den sog. "Public Register Boards" in Bibliotheken von West London vorgestellt wurden, präsentierte Willats das Projekt dem Kunstpublikum in Form des sog. "Public Monitor".

    Für ein Auftragswerk mit dem ein Firmengebäude der Generali Versicherung in Berlin mit Kunst ausgestattet werden sollte, lud Maria Eichhorn (1962 Bamberg, DE) Mitte der 1990er Jahre die Belegschaft, ebenfalls unterstützt durch einen Fragebogen, zu einer Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex "Arbeit / Freizeit" ein. Darauf basierend entstand eine Ausstellung, zu welcher die Mitarbeiter:innen Gegenstände vorschlugen oder direkt als Leihgabe oder Geschenk beisteuerten. Nachdem ein anderes Gebäude bezogen wurde, in dem das Werk keinen Platz mehr fand, und weil einige der Teilnehmer:innen, auch aufgrund von Umstrukturierungen, nicht mehr im Arbeitsverhältnis mit der Firma stehen, dokumentierte diese „Ausstellung der Belegschaft“ ein inzwischen historisches soziologisches Bild.

    Eine damals besonders intensiv debattierte Thematik wurde im Projekt "Distributive Justice" (Verteilungsgerechtigkeit), von Andreja Kuluncic (1968 Subotica/YU) behandelt, welches ebenfalls multidisziplinär entwickelt worden war. Erstmals 2001 für die Documenta 11 realisiert, wurde die Internetplattform den lokalen Spezifika des jeweiligen Ausstellungskontextes entsprechend immer wieder weiterentwickelt und aktualisiert. (Mittlerweile existiert die Plattform nicht mehr.) In der Ausstellung selbst stand den Besucher:innen eine „Arbeitsraum-Installation“ zur Verfügung, in der zahlreiche Veranstaltungen stattfinden.

    Die bekannte Foto-Textinstallation "The Bowery in two inadequate descriptive systems" (Die Bowery in zwei unzulänglichen Beschreibungssystemen, 1974-75) von Martha Rosler (1943 Brooklyn, New York/USA) aus der Sammlung Generali Foundation ist eines der Schlüsselwerke zur grundlegenden Frage, ob die Realität sozialer Missstände in einem künstlerischen Werk mittels Dokumentarfotografie oder Text dargestellt werden kann. Einem Brecht’schen Lehrstück gleich, in unterhaltsamer, aber dennoch tiefgehender Weise, öffnet uns Rosler in ihren Performances, Videos oder den Postkartenromanen die Augen für soziale Ungerechtigkeit, insbesondere in Hinblick auf die Stellung der Frau. Ihre legendäre Serie von Fotomontagen mit dem Titel "Bringing the War Home" (1967-72) hat sie angesichts des Irak-Krieges 2004 mit neuen Bildern aus Zeitschriften fort. Gemeinsam mit anderen Werken wurde eine Auswahl der neuen Serie erstmals in Wien vorgestellt.

    Den Anspruch einer relativ leicht zugänglichen, aber nicht minder präzisen Form der Erörterung von sozialpolitischen und ökonomischen Themen in einem künstlerischen Werk setzen auch Alice Creischer / Andreas Siekmann (1960 Geroldstein, 1961 Hamm — Berlin/DE) um. In "Occupying Space / Wasting Time" (2005), einem Ausstellungsführer in Verbindung mit einer räumlichen Intervention, die als Auftragswerk für die Ausstellung der Sammlung der Generali Foundation am Haus der Kunst in München entstanden ist, gingen sie Gedanken von Zeit, Arbeit und Verwertung im historischen Kontext einiger der damals ausgestellten Werke nach.

    Nach ihren frühen Malereien und den ausschließlich auf Text basierenden, streng konzeptuellen Werken der 1960er Jahre adressiert Adrian Piper (1948 New York — Cape Cod/USA) seit den 1970er Jahren in ihren Arbeiten Rassismus und Xenophobie. In Foto- und Videoarbeiten und oft großräumigen Installationen, wie in ihrer Multi-Media-Installation "Black Box/White Box" (1992), stellt sie eine direkte und unmittelbare Beziehung zwischen Betrachter:innen und Kunstwerk her, die durch bestimmte Text- und Bildstrategien erreicht wird. Piper setzt Worte wie zum Beispiel „hier“, „jetzt“, „Du/Sie“ ein, oder Darstellungen von Menschen, die den Betrachter:innen direkt in die Augen sehen, und verwendet dafür den Begriff der „indexikalischen Gegenwart“.

    Ähnlich konsequent widmen Klub Zwei (Simone Bader, 1964 Stuttgart, DE und Jo Schmeiser, 1967 Graz, AT) ihre künstlerische Arbeit den Themen Antisemitismus, Rassismus und Sexismus. In ihrer Projektreihe "Arbeit an der Öffentlichkeit" entwickeltelten sie eine Struktur der Zusammenarbeit, die von den beteiligten Migrant:innengruppen mitbestimmt wurde. Auf dieser Basis entstanden Projekte mit MAIZ – Autonomes Zentrum von und für Migrant:innen und das Projekt im öffentlichen Raum "Arbeiten gegen Rassismen" in Zusammenarbeit mit SFC – Schwarze Frauen Community. Speziell für diese Ausstellung wurde ein neues öffentliches Projekt für das Transparent in der Wiedner Hauptstraße beauftragt.

    Der Ausstellungszyklus zu Thematiken der Sammlung wurde 2004 mit COLLECTED VIEWS FROM EAST OR WEST eröffnet, einer Ausstellung zur Ost-West-Thematik. In der Folge der verschiedenen Ausstellungen erschien eine Publikationsreihe theoretischer Schriften. Durch dieses längerfristig angelegte Projekt wurde die Kommunikation der Sammlung der Generali Foundation auf mehreren Ebenen verstärkt: Die schon bisher organisierten Themenausstellungen wurden auf einen Diskurs um die Sammlung konzentriert. Gleichzeitig sollte die internationale Ausstellungstour der Sammlung Generali Foundation mit dem Titel "Occupying Space" auch in Wien intensiver vermittelt werden. Nach der Präsentation in München im Haus der Kunst war die Ausstellung bis Ende August in Rotterdam/Niederlande im Fotomuseum, Witte de With und TENT. zu sehen. Vom 28. Oktober bis 9. Dezember wurde die Sammlung der Generali Foundation in Zusammenarbeit mit dem Museum für Zeitgenössische Kunst in Zagreb/Kroatien gezeigt.