Animismus
Moderne hinter den Spiegeln

  • 2011_2_grHalle_Jacobs.Lye Ausstellungsansicht: unExhibit, © Generali Foundation, Foto: Margeritha Spiluttini
  • 2011_2_grHalle_Mendieta Ausstellungsansicht: unExhibit, © Generali Foundation, Foto: Margeritha Spiluttini
  • 2011_2_grHalle_Lye.Koester.Disney Ausstellungsansicht: unExhibit, © Generali Foundation, Foto: Margeritha Spiluttini
  • 2011_2_grHalle_Painleve Ausstellungsansicht: unExhibit, © Generali Foundation, Foto: Margeritha Spiluttini
  • 2011_2_grHalle_Rosen.Broodthaers Ausstellungsansicht: unExhibit, © Generali Foundation, Foto: Margeritha Spiluttini
  • 2011_2_klHalle_Agency Ausstellungsansicht: unExhibit, © Generali Foundation, Foto: Margeritha Spiluttini
  • 2011_2_klHalle_Durham.Hoefer.Agency1 Ausstellungsansicht: unExhibit, © Generali Foundation, Foto: Margeritha Spiluttini
  • 2011_2_klHalle_Durham.Hoefer Ausstellungsansicht: unExhibit, © Generali Foundation, Foto: Margeritha Spiluttini
  • 2011_2_Seitentrakt_Jacob.Haghighian Ausstellungsansicht: unExhibit, © Generali Foundation, Foto: Margeritha Spiluttini
  • 2011_2_Seitentrakt_Melitopoulos Ausstellungsansicht: unExhibit, © Generali Foundation, Foto: Margeritha Spiluttini
    16.09.2011 bis 09.01.2012
    Konzept: Anselm Franke
    Kurator:innen: Anselm Franke mit Sabine Folie
    Assistenzkuratorin, Ausstellungsproduktion: Georgia Holz

    Animismus war eine Kooperation zwischen Extra City – Kunsthal Antwerpen, Museum of Contemporary Art Antwerp (M HKA), Kunsthalle Bern, Generali Foundation, Wien, Haus der Kulturen der Welt, Berlin und Freie Universität Berlin.

    Werke von Agentur, Marcel Broodthaers, Adam Curtis, Didier Demorcy, Walt Disney, Jimmie Durham, Eric Duvivier / Henri Michaux, Thomas Alva Edison, León Ferrari, Walon Green, Victor Grippo, Candida Höfer, Luis Jacob, Ken Jacobs, Joachim Koester, Yayoi Kusama, Len Lye, Chris Marker / Alain Resnais, Daria Martin, Angela Melitopoulos & Maurizio Lazzarato, Ana Mendieta, Vincent Monnikendam, Jean Painlevé, Hans Richter, Roee Rosen und Natascha Sadr Haghighian.

    Animismus war ein mehrteiliges Ausstellungsprojekt, das nach Stationen in Antwerpen und Bern in der Generali Foundation präsentiert wurde. Die Ausstellung Animismus. Moderne hinter den Spiegeln griff die zur gegebenen Zeit auf breiter Ebene stattfindende Neubewertung der Moderne auf und verhandelte sowohl das ethnologische Konzept des Animismus, wie es im Kontext des Kolonialismus formuliert wurde, als auch den Begriff des Animismus in der Psychoanalyse. In Wien, der Stadt Sigmund Freuds, richtete die Ausstellung den Fokus unter anderem auf ästhetische Ansätze, die die Gegenüberstellung von psychischer Innen- und materieller Außenwelt hinterfragten.

    Der „alte" Animismus – Fluchtpunkt der Moderne
    Ende des 19. Jahrhunderts wird der Animismus als Summe abergläubischer Vorstellungen verstanden, als die Realität verkennende „Projektion", anhand derer das „primitive Bewusstsein" den Kosmos mit Seelen und Geistern bevölkert. Den Dingen und der Natur wird dabei Leben, Handlungsmacht und Subjektcharakter zugeschrieben. Auf dem Höhepunkt des europäischen Kolonialismus wird der Animismus zum Gegenbild der Zivilisation, zum exemplarischen Ausdruck eines primitiven „Naturzustands", in dem Psyche und Natur als ungeschieden gelten. Im Kontext der kolonialen Moderne fungierte das Bild des Animismus als Spiegel, durch den die Moderne sich ihrer selbst versicherte, indem er zeigt, was sie nicht ist. Modern sein hieß demnach, den Animismus hinter sich zu lassen und die Welt nach den seit Descartes gültigen dualistischen Trennungen – in Seele und Körper, in Geist und Materie – aufzuteilen.

    Der „neue" Animismus – eine Reaktivierung
    In der Anthropologie kommt es im Zuge der Kritik an den Dualismen und statischen Kategorien der Moderne in Laufe der Zeit zu einer Neubewertung des Animismus. Lässt sich der Animismus jenseits der westlichen Vorstellung davon, was „Leben", „Seele", „Selbst", „Natur", „übernatürliche Kräfte" oder „Glaube" sind, als Praxis begreifen, bei der es um andere Erfahrungen von Subjekt-Objekt-Relationen geht? Um Prozesse von Subjektivierung und Objektivierung etwa und nicht um starre Kategorien? Die Grenzziehungen zwischen Natur und Kultur, Menschen und Nicht-Menschlichem (Natur, Technologie), Psyche und Außenwelt und Leben und Nicht-Leben anders denken zu können, wird angesichts ökologischer, technologischer und biopolitischer Entwicklungen eine ganz konkrete politische Herausforderung.

    Ausstellungsszenen – Demarkationslinien, Schwellen, Übergänge

    Die Ausstellung Animismus. Moderne hinter den Spiegeln verhandelte diese Grenzen entlang ästhetischer Prozesse, die aufzeigten, was geschieht, wenn die strikte Trennung von Subjekt und Objekt aufgelöst wird. Auch das Museum als Objektivierungs- und Mumifizierungs-Apparat wurde dabei zum Gegenstand der Befragung. So verweisen die Fotografien von Candida Höfer, Ansichten aus ethnografischen Sammlungen, auf die Tradition des Konservierens und der Ordnung des Wissens, in der notwendigerweise auch diese Ausstellung stand. Jimmie Durhams Installation The Dangers of Petrification (2007) hält dem mortifizierenden Museumsapparat und der westlichen Vorstellung von Stein als „toter Materie" einen spielerischen Spiegel vor. Victor Grippo verschiebt den Begriff der unbelebten Materie weiter, indem er in seinen Werken die in Kartoffeln enthaltene Energie nutzt und deren soziopolitische Bedeutung als „Lebensspender" unterstreicht. In der Archivinstallation Versammlung (Animismus) (1992–) zeigte Agentur eine Auswahl aus ihrer umfangreichen Sammlung von Gerichtsverfahren über Urheberrechtsstreitigkeiten, in denen juristische Auseinandersetzungen zu Fragen wie Autor:innenschaft, Kreativität und Handlungsmacht zu Foren für die Verhandlung der Grenze zwischen Menschen und Dingen, zwischen Natur und Kultur werden.

    Der aus tausenden Einzelzeichnungen bestehende, 1929 entstandene Animationsfilm Tusalava von Len Lye ist von der Kunst der australischen Aborigines beeinflusst und kann als „primitivistisches" Werk gelten. In der Ausstellung befand er sich in unmittelbarer Nähe zu Walt Disneys The Skeleton Dance, ebenfalls aus dem Jahr 1929, ein Film, der auf exemplarische Weise die „Gesetze" des kinematografischen Animationsuniversums zum Ausdruck bringt. Capitalism: Slavery (2006), ein Video von Ken Jacobs, führt die Frage nach den Möglichkeiten filmischer Animation weiter, indem er die Technik der Bildanimation mit den monotonen, normierten Bewegungen der Plantagenarbeit verbindet. Auch Joachim Koesters Animation der unter dem Einfluss von Meskalin gefertigten Zeichnungen von Henri Michaux, My Frontier is an Endless Wall of Points (2007), verweist auf die wachsende Kluft zwischen dem Repräsentierbaren und dem Nicht-Repräsentierbaren, zwischen symbolischer Struktur und Imagination.

    Assemblages (2010), eine auf einem umfassenden Rechercheprojekt basierende Videoinstallation von Angela Melitopoulos und Maurizio Lazzarato, folgt den geistigen Spuren von Félix Guattari – Philosoph, Aktivist, institutioneller Psychotherapeut und Mitautor von Gilles Deleuze. Für die Ausstellung in Wien wurde das Projekt um die neue Arbeit Déconnage (2011) erweitert, die sich auf Guattari’s „Vorläufer" Francoise Tosquelles konzentriert. Die Arbeiten führten die beiden Hauptstränge der Ausstellung, die Verhandlung der Beziehung von Selbst und Welt und jener von Mensch und Natur, zusammen und verfolgen sie im Kontext der Psychiatriegeschichte ebenso wie des politischen Widerstands.

    Die zahlreichen Werke der Ausstellung spüren Demarkationslinien, Schwellen und Übergänge der kanonischen Trennungen in unterschiedlichen Medien und mittels heterogener Strategien auf, überzeichnen, verschieben und transformieren sie. Animismus. Moderne hinter den Spiegeln legte die Notwendigkeit einer Revision und Dekolonisierung nicht nur des überkommenen Verständnisses von Animismus, sondern auch des sich darin ausdrückenden modernen Imaginären nahe.